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Emotionaler Besuch

Töchter von Edith Leuchter wandeln auf den Spuren jüdischen Lebens in Bruchsal

Jüdische Zeitzeugen aus Bruchsal gibt es nur noch wenige. Für die Töchter von Edith Leuchter, die als 13-Jährige vor den Nazis fliehen musste, ist es ein sehr bewegender Besuch.

Stadtrundgang auf den Spuren der früheren jüdischen Gemeinde
Spurensuche: Julie Thum (rechts) und ihre Schwester Deborah Stueber beim früheren Feuerwehrhaus mit Rainer Kaufmann (links), der über die Geschichte der jüdischen Gemeinde informiert. Foto: Martin Heintzen

Der Besuch in Bruchsal ist für Deborah Stueber und Julie Thum nicht der erste, aber ein „extrem emotionaler“. Das versichern die beiden Töchter von Edith Leuchter (geborene Löb) am Morgen nach der Uraufführung von „Mädchen mit Hutschachtel“.

Das Dokumentarstück, das die Autorin Lisa Sommerfeldt, für die Junge Badische Landesbühne (BLB) geschrieben hat, erzählt Edith Leuchters dramatische Flucht vor den Nazis.

Sie ist eine der letzten noch heute lebenden Bruchsaler Holocaust-Überlebenden. 95-jährig lebt Edith Leuchter heute hochbetagt in Florida. Tief bewegt berichtet Tochter Julie noch in der Nacht nach der Premiere ihrer Mutter in einem Telefongespräch von der Aufführung.

„It was amazing“, ganz großartig, findet Julie Thum das Stück. Schwester Deborah, die in Pittsburgh für das Holocaust Center vor Schülern über Juden-Verfolgung und das Schicksal ihrer Eltern spricht, findet es wichtig, dass so etwas gezeigt wird.

Jüdisches Totengebet bei den Stolpersteinen

Als 13-Jährige wird Edith zusammen mit ihrer Mutter Julie Löb und Großmutter Mathilde Weil von Bruchsal nach Gurs verschleppt. Der Vater kann schon 1938 in die USA fliehen. Ihm gelingt es nicht, seine Familie nachzuholen.

Beim Stadtrundgang auf Einladung des Fördervereins „Haus der Geschichte der Juden Badens“ sprechen die Töchter vor der Haustür in der Friedrichstraße 53 ein Kaddisch, das jüdische Totengebet. Sie sind sichtlich bewegt. „Von hier konnte meine Mutter die brennende Synagoge sehen“, weiß Deborah Stueber.

2017 werden in der Friedrichstraße Nummer 53 Stolpersteine für die Familie Löb gelegt. Ediths Mutter Julie wird 1942 und ihr Bruder Heinz 1944 in Auschwitz ermordet. Nur Edith überlebt den Krieg, versteckt in französischen Kinderheimen. Anlässlich der Stolpersteine-Verlegung sehen die Töchter im Stadtarchiv auch einen NS-Propagandafilm, der 1940 die Deportation der letzten Bruchsaler Juden ins südfranzösische Gurs zeigt. Darunter ist auch ihre damals 13-jährige Mutter. „Das war sehr emotional“, erzählt ihre Tochter Deborah.

Neues Feuerwehrhaus auf abgebrannten Grundmauern der Synagoge

Beim Stadtrundgang mit Rainer Kaufmann, einem Bruchsaler Zeitzeugen der Nachkriegszeit und des Verdrängens, wie er sagt, geht es auf den Spuren jüdischen Lebens von der Stadtkirche, über das ehemalige Synagogengelände zum Otto-Oppenheimer-Platz.

Dabei berichtet er auch über die zwischenzeitlich verstorbene Tochter des Bruchsaler Synagogendieners, Bertl Lefkowitz. In ihrem Nachlass finden sich Bilder, die jüdische Bürger dabei zeigen, wie sie nach 1933 mit Zahnbürsten die Straßen reinigen müssen.

Unrühmlich sei auch die Geschichte der jüdischen Synagoge. Als sie beim Novemberpogrom 1938 vorsätzlich in Brand gesteckt wird, greift die damalige Bruchsaler Feuerwehr nicht ein. Auf den abgebrannten Grundmauern wird in den 1950er Jahren das neue Feuerwehrhaus errichtet. Hier sieht Kaufmann eine moralische Verantwortung der Stadt.

Öffentliche Diskussion um Synagogengrundstück in Bruchsal

Dabei verweist er auf die Gesprächsrunde der Badischen Landesbühne im Exil Theater, die an diesem Sonntag um 11 Uhr stattfindet: „Synagoge, Feuerwehrhaus, Fragezeichen – Friedrichstraße 78: Was wird jetzt aus dem Grundstück?“ Kaufmann hofft, damit eine Diskussion in der Öffentlichkeit anzustoßen.

Da sind Edith Leuchters Töchter schon längst abgereist. Deborah Stueber will noch einen Zwischenstopp in Köln einlegen und ein Kölsch probieren. Sie liebt selbstgebraute Biere. Ihre Schwester Julie Thum will vor dem Abflug noch das Jüdische Museum in Frankfurt besuchen.

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