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Meinung

von Daniel Streib

Der Letzte seiner Art

Wolfgang Schäuble – Jahrhundertpolitiker aus Baden

Wolfgang Schäuble war eine Jahrhundertgestalt. Als Staatsmann blieb er unvollendet. Als Politiker ist er unerreicht. Wie der Jurist aus Baden die Bundesrepublik über den Tod hinaus prägt.

Ein Foto des verstorbenen CDU-Politikers Wolfgang Schäuble und ein Kondolenzbuch liegen im Konrad-Adenauer-Haus. Der ehemalige Bundestagspräsident und CDU-Chef Schäuble ist im Alter von 81 Jahren gestorben. Er sei im Kreise seiner Familie zu Hause am Abend des 26. Dezembers 2023 friedlich eingeschlafen, teilte die Familie des Politikers mit. +++ dpa-Bildfunk +++
Ein Foto des verstorbenen CDU-Politikers Wolfgang Schäuble und ein Kondolenzbuch liegen im Konrad-Adenauer-Haus. Foto: Jörg Carstensen picture alliance/dpa

Das lange Politikerleben von Wolfgang Schäuble war ein Leben der Superlative. Schon die reinen Zahlen, auf die der Finanzexperte stets großen Wert legte, belegen das. Er war der am längsten amtierende Abgeordnete auf nationaler Ebene. Und zwar nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in der gesamten deutschen Parlamentsgeschichte seit der ersten Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche im Mai 1848

Schäuble war Rekord-Bundestagsabgeordneter; 14 Mal in Folge direkt gewählt für die Ortenau. Er war Kanzleramtschef, einer der Architekten der deutschen Einheit, Mehrfach-Minister, Fraktionschef, Parteichef und bis 2021 Bundestagspräsident, das zweithöchste Staatsamt. Weil Schäuble aber das höchste Amt der Republik – Bundespräsident – verwehrt blieb, wurde er gelegentlich als Unvollendeter beschrieben.

Schäuble prägte Regierungspolitik länger als Kohl und Merkel

Dabei gelang dem Juristen aus dem Schwarzwald etwas, das kaum ein Bundespräsident oder sonst jemand vermochte. Schäuble prägte die Regierungspolitik des Landes über viele Jahre maßgeblich mit. Und zwar länger als sogar Helmut Kohl und Angela Merkel, die beiden Langzeitkanzler. Denn Schäuble war über weite Strecken für beide der entscheidende Wegbegleiter. Seine politische Intelligenz, seine beispiellose Erfahrung und seine Zähigkeit machten ihn für die Mächtigen unverzichtbar.

Auf weniger Mächtige konnte Schäuble einschüchternd wirken. Als beispielhaft gilt jene Berliner Pressekonferenz 2011, als Schäuble vor der versammelten Hauptstadtpresse mehrere Minuten seinen Pressesprecher verspottete, weil der etwas vergessen hatte. Schäubles gefürchteter Spott blitzte zuweilen auch bei seinen Auftritten in der badischen Heimat auf, wenn er als Redner beispielsweise immer wieder einen SPD-Bürgermeister im Publikum striezte.

Im Gegensatz zu Merz nie in den Schmollwinkel zurückgezogen

Was ihm mancher als Arroganz und überzogene Härte auslegte, entpuppte sich beim näheren Hinsehen als der zutiefst menschliche Humor eines Mannes, dessen Leben von persönlichen Härten geprägt war. Nicht zuletzt von der Härte gegen sich selbst.

Weder die CDU-Spendenaffäre noch seine Querschnittslähmung infolge des Attentats vom Oktober 1990 und familiäre Schicksalsschläge konnten ihn aufhalten: Schäuble machte immer weiter. Im Gegensatz zu seinem Freund Friedrich Merz beispielsweise hatte sich Schäuble nach politischen Rückschlägen nie in den Schmollwinkel zurückgezogen.

Pflichtbewusstsein und Durchhaltevermögen sind Attribute, die man noch lange mit dem Jahrhundertpolitiker Schäuble verbinden dürfte. Auf der sachpolitischen Ebene bleibt der „Sohn einer schwäbischen Hausfrau“ ohnehin präsent. Der ehemalige Finanzminister gilt als Erfinder der „schwarzen Null“ und der aktuell stark umstrittenen Schuldenbremse. In Interviews und Reden verteidigte er das in der Verfassung verankerte Instrument bis zuletzt. Wolfgang Schäuble ist nun tot, doch seine Argumente bleiben.

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