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Eng getakteter Zeitraum

Prüfungen für die Haupt- und Realschüler: Die große Angst vor einem positiven Corona-Test

Die Prüfungen für die Haupt- und Realschüler in Baden-Württemberg stehen kurz bevor. Befragte Vorsitzende der Lehrerverbände sehen besonders die Test-Strategie kritisch.

Ein Schüler des St.-Benno-Gymnasiums testet sich vor Beginn der Abiturprüfung in Katholischer Religion in der Turnhalle mit einem Schnelltest auf das Coronavirus.
Den Haupt- und Realschülern ist es überlassen, ob sie sich vor den Abschlussprüfungen am Dienstag auf das Coronavirus testen lassen. Foto: Robert Michael/dpa

Die Klausuren liegen umgedreht auf dem Tisch. Das Gedankenkarussell hört nicht auf, sich zu drehen. Habe ich mich gut genug vorbereitet? Was, wenn ich versage? Dann das Signal der Aufsicht: Umdrehen, die Zeit läuft.

An den Haupt-, Werkreal- und Realschulen geht es ab Dienstag ums Ganze. In Baden-Württemberg schreiben 44.000 Jugendliche ihre Abschlussprüfungen. Für die Schüler bedeutet das Stress pur. Genau der wird durch die Corona-Pandemie zusätzlich verstärkt.

Dirk Lederle bereitet besonders der straffe Zeitplan in diesem Jahr Bauchschmerzen. Er ist nicht nur stellvertretender Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg, sondern selbst Schulleiter. Lederle ist Rektor der Johanniterschule in Heitersheim bei Freiburg. Für 125 seiner Realschüler geht es kommende Woche in die heiße Phase.

Los geht’s mit der Deutschprüfung am Dienstag, daraufhin folgt Mathe am Donnerstag. Die Englischklausur ist am Dienstag, 15. Juni. In dieser Woche wird dann am Mittwoch Französisch als Pflichtfremdsprache abgefragt. Mit der Prüfung eines der Wahlpflichtfächer am Freitag, 18. Juni, haben es die Schüler dann geschafft. Wer an den Klausuren teilnimmt, muss sich vorher nicht auf das Coronavirus testen lassen.

Corona-Tests vor den Prüfungen: Die Angst vor einem positiven Ergebnis ist groß

„Wir richten dennoch am Tag vor der ersten Prüfung eine Station ein“, sagt Lederle. „Ich glaube aber ehrlich gesagt nicht, dass die Schüler das Angebot wahrnehmen“, fügt er hinzu. Zu groß sei die Angst, vielleicht doch positiv zu sein. Wenn dieser Fall eintritt, müssen die Betroffenen einen PCR-Test machen. „Das Ergebnis kommt frühestens innerhalb von 24 Stunden“, erklärt Lederle. Für die Prüflinge bedeutet das im Endeffekt, dass sie die Deutschklausur gar nicht erst mitschreiben dürfen.

Wer ein positives PCR-Testergebnis bekommt, muss 14 Tage in Quarantäne. Dann heißt es: warten auf die Nachholtermine in zweieinhalb Wochen. Wer bis dahin nicht genesen ist, muss sich wohl bis zu den Terminen im September gedulden. Der Abschluss rückt in weite Ferne. „Das bereitet mir große Bauchschmerzen“, räumt der stellvertretende Landesvorsitzende ein. Der Übergang in eine weiterführende Schule und der Ausbildungsstart seien somit gefährdet.

Der eng getaktete Zeitraum zwischen den Erst- und Zweitterminen habe auch im Realschullehrerverband für Diskussionen gesorgt, erklärt die Landesvorsitzende Karin Broszat. Dennoch rät die Leiterin der Realschule Überlingen den Jugendlichen, sich vorher testen zu lassen. „Hier geht es auch um den sozialen Aspekt und darum, andere zu schützen“, betont sie. Wer sich nicht auf das Virus untersuchen lassen möchte, muss in einem separaten Raum sitzen.

Schriftliche Klausur im Wahlpflichtfach für Werkreal- und Realschüler

Ausgerechnet in diesem Jahr kommt für die Werkreal- und die Realschüler eine schriftliche Klausur in den Wahlpflichtfächern dazu. Vorher gab es hier nur eine praktische Prüfung. Im Vergleich zu Deutsch, Mathe und Englisch hätten sich die Jugendlichen nur bedingt vorbereiten können, erklärt Lederle.

Vom Land gab es für die Prüfung nur eine Musteraufgabe. Das ist viel zu wenig.
Dirk Lederle, stellvertretender Landesvorsitzender des VBE

Das gilt besonders für das Wahlpflichtfach Alltagskultur, Ernährung und Soziales (AES). „Vom Land gab es für die Arbeit nur eine Musteraufgabe. Das ist viel zu wenig. Die Anforderungen sind völlig unklar“, sagt er. Generell ist Lederle der Meinung, dass diese neue Klausur auch erst nächstes Schuljahr hätte starten können. Homeschooling, Wechselunterricht und Co. seien nervenaufreibend genug gewesen, betont er.

„Die Unsicherheit unter den Lehrern ist groß. Hier geht es immerhin um die erste Prüfung dieser Art“, sagt auch Broszat. Dennoch ist sie zuversichtlich, dass ihre Schüler bestehen. „Das Land hat die Inhalte bereits gekürzt. Ich glaube, dass die Jugendlichen die Prüfung gut bewältigen“, fährt sie fort.

Schüler der Real- und Hauptschulen haben im Corona-Jahr mehr Zeit

Trotz aller Kritik gibt es auch gute Nachrichten: Die Schüler hätten für jede Prüfung mindestens 30 Minuten mehr Zeit. Das sei auch nötig, sagt Lederle. Die Deutschklausur dauert zum Beispiel vier Stunden. Mit Maske ist das ganz schön anstrengend. „Wir wollen den Jugendlichen auch eine Pause gönnen, in der sie durchatmen können.“

Außerdem neu ist, dass der Erst- und der Zweitkorrektor von der eigenen Schule stammen. Vorher haben quasi fremde Lehrkräfte die Prüfungen als Zweitkorrektoren begutachtet. Ob die Bewertungen dadurch etwas milder ausfallen, will Lederle nicht zugeben. „Die Lehrer bewerten nach pädagogischem Augenmaß und haben dadurch einen gewissen Spielraum“, sagt er.

Schulleiter sieht Bewertung durch Lehrer der eigenen Schule kritisch

Michael Hirn, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg, sieht das jedoch kritisch. Er ist Leiter der Helene-Fernau-Horn-Schule in Stuttgart. Für diese Art der Bewertung gebe es keinerlei Richtlinien. „Ich vertraue da auf meine Lehrkräfte“, sagt er.

Unsere Schule hat mehr Funktionen als nur die nackte Wissensvermittlung.
Michael Hirn, stellvertretender Landesvorsitzender GEW

Zwölf Hauptschüler absolvieren in diesem Jahr ihren Abschluss an seiner Schule. Auch wenn die Jugendlichen bereits seit einiger Zeit wieder im Präsenzunterricht sind, lässt er seine Schützlinge nur ungern gehen. „Unsere Schule hat mehr Funktionen als nur die nackte Wissensvermittlung“, sagt er. Berufsvorbereitende Praktika oder Messebesuche fallen schon seit Monaten flach. „Eine Woche in einem Betrieb kann das Selbstbewusstsein eines Schülers unheimlich fördern. Das fehlt einfach“, betont er.

Auch er sieht die Test-Strategie kritisch. Am Montag vor den Prüfungen hätten die Jugendlichen die Möglichkeit, noch einmal in die Schule zu gehen, mit den Lehrern zu reden und sich mental auf die Klausuren vorzubereiten. Die Krux bei der Sache: Die Mädchen und Jungen müssen sich vorher testen. Am Dienstag vor der eigentlichen Prüfung hingegen ist kein Corona-Test nötig. Das findet auch Hirn völlig widersprüchlich.

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