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Corona-Schnelltest aus Freiburg

Land fördert ein Corona-Labor im Schuhkarton

Das Freiburger Start-Up Spindiag testet ein System, das binnen 43 Minuten das Coronavirus nachweisen kann. Im Herbst könnte die Technologie deutschlandweit eingesetzt werden.

Gewissheit über Corona in 43 Minuten: Eine Mitarbeiterin der Freiburger Firma Spindiag schiebt eine Kartusche mit einer möglichen Virusprobe in das Schnelldiagnosesystem „Rhonda”.
Gewissheit über Corona in 43 Minuten: Eine Mitarbeiterin der Freiburger Firma Spindiag schiebt eine Kartusche mit einer möglichen Virusprobe in das Schnelldiagnosesystem „Rhonda”. Foto: Alexei Makartsev

„Wollen Sie es selbst ausprobieren?”, fragt Daniel Mark. Also gut. Mit dem Tupfer tief im Rachenraum stochern, das Würgegefühl überwinden, das Plastikröhrchen mit dem Stäbchen in eine halbmondförmige Disk stecken.

Eine junge Frau im weißen Kittel schiebt dann die Kartusche in das Analysegerät, so wie man eine CD in den Player eines Autoradios laden würde. Sie drückt auf „Start” - und schon startet der schnellste Corona-Test Deutschlands.

Das südbadische Unternehmen Spindiag hat ihn entwickelt. Die kleine Ausgründung der Universität Freiburg und des Hahn-Schickard-Instituts war noch bis vor wenigen Monaten völlig unbekannt. Als die Pandemie ausbrach, hatte sie aber eine innovative Technologie in Entwicklung, die an Sars-CoV-2 angepasst werden konnte und eine enorme Verbesserung der mobilen Diagnostik versprach.

Baden-Württemberg investiert sechs Millionen Euro in Spindiag

Heute zählt die junge Firma mit 40 Mitarbeitern zu den am schnellsten wachsenden Start-Ups in Deutschland. Und sie hat die Rückendeckung des Wirtschaftsministeriums in Stuttgart, das sechs Millionen Euro in das neue Testsystem „Rhonda” investiert hat. Wenn für die Freiburger alles glatt läuft, wird das Land Baden-Württemberg ab Oktober zu deren Großabnehmern zählen.

Das Gerät von der Größe eines Schuhkartons sieht aus, als wäre es von Apple designt worden. Fließende Formen, ein hochwertig wirkendes, glänzendes Plastikgehäuse. Das minimalistisch reduzierte Display zeigt die verbleibende Analysezeit an.

Aus dem Inneren des Players hört man ein sirrendes Geräusch – dort rotiert gerade die Corona-Testkartusche mit 50 Umdrehungen pro Sekunde. Nach exakt 43 Minuten steht das Ergebnis fest: negativ.

,Rhonda’ ist sehr leicht zu bedienen, und es liefert zugleich Laborqualität. Das macht unser System so einzigartig.
Daniel Mark, Geschäftsführer von Spindiag

„,Rhonda’ ist sehr leicht zu bedienen, und es liefert zugleich Laborqualität. Das macht unser System einzigartig”, sagt Daniel Mark, Geschäftsführer von Spindiag. „In diesem Bereich sind weltweit nur eine Handvoll Firmen so weit wie wir gekommen. In Deutschland sind es zwei. Aber die Konkurrenzprodukte haben eine deutlich komplexere Handhabung”.

Herzstück des Freiburger „Rhonda”-Testsystems: In der Kartusche wird eine Probe platziert, die später in dem Player rotiert wird.
Herzstück des Freiburger „Rhonda”-Testsystems: In der Kartusche wird eine Probe platziert, die später in dem Player rotiert wird. Foto: Alexei Makartsev

Der 40-jährige Physiker wird schon lange von der Idee angetrieben, Laborprozesse zu automatisieren und zu vereinfachen. Mit seinem fünfköpfigen Team aus Wissenschaftlern hat er ein Verfahren entwickelt, mit dem man im Krankenhaus binnen 30 bis 40 Minuten die gefährlichen MRSA-Bakterien nachweisen kann.

„Die Ärzte haben uns gesagt, es müsste schnell gehen”, erzählt Mark. „Wenn ein neuer Patient kommt, muss man wissen, ob er antibiotikaresistente Keime mitbringt und deswegen isoliert behandelt werden muss.”

System ursprünglich für Nachweis von multiresistenten Erregern entwickelt

Nach den ersten erfolgreichen Tests hatte Spindiag gerade das Zulassungsverfahren gestartet, als die Pandemie ausbrach. „Da haben wir gemerkt: Unsere Technologie passt super. Denn auch bei Corona-Verdacht muss man schnell entscheiden, ob ein Patient isoliert wird”, sagt der Geschäftsführer.

„Das System war darauf ausgelegt, verschiedene Analysen machen zu können. Also passten wir mit wenig Aufwand die Software an.” Während andere erst anfingen, Testlösungen zu entwickeln, war Spindiag nah am Problem dran.

Die Freiburger Firma setzt auf die etablierte, aber eher langsame Labormethode der Polymerase-Kettenreaktion (PCR), bei der man eine Probe mehrere Heiz- und Kühlzyklen durchlaufen lässt, um die Erbinformationen des Virus nachweisen zu können.

„Rhonda” kann jedoch schnell heizen und kühlen, dadurch verkürzt sich die Analysezeit. „Wir haben bei 43 Minuten aufgehört zu optimieren, um schneller auf den Markt zu kommen, aber da ist noch was drin”, sagt Daniel Mark.

Messgenauigkeit bis etwa 95 Prozent

Spindiag kann gleichzeitig zwei Proben von einer oder verschiedenen Personen automatisch analysieren. Jede von ihnen durchläuft die sogenannte Zwei-Stufen-PCR: Im ersten Schritt wird die freigesetzte Erbsubstanz eines Virus in einer Kammer um den Faktor 1.000 vervielfältigt. Dann wird sie aufgeteilt, und jede dieser Mini-Proben wird mittels PCR analysiert.

Laut Mark sichert diese Technologie eine hohe Sensitivität und ermöglicht zugleich, viele Parameter zu messen – mit einer Zuverlässigkeit von über 95 Prozent.

Produktionslinie im Reinraum: In Süddeutschland sollen im Herbst Hunderttausende Corona Schnelltestsysteme hergestellt werden.
Produktionslinie im Reinraum: In Süddeutschland sollen im Herbst Hunderttausende Corona Schnelltestsysteme hergestellt werden. Foto: Hahn-Schickard-Institut für Mikroanalysesysteme

Das Herzstück des Systems ist die rotierende Plastikkartusche mir Reagenzien. Sie bewegen sich zwischen Mikrokammern durch ein Netz aus winzigen Kanälen, von denen manche den Durchmesser eines menschlichen Haares haben.

„Durch die Zentrifugalkräfte wird die Flüssigkeit in diesen Kanälchen hin- und hergeschoben”, erklärt Mark. „Das ist das clevere an unserer Idee – dass dieses einfache Plastikteil einen komplexen Laborprozess automatisiert, indem es dreht.”

Testverfahren auch auf mobilen Stationen auf Flughäfen einsetzbar

Laut Spindiag ist der Umgang mit „Rhonda” so einfach und sicher, dass das System vom medizinischen Personal nach einer kurzen Schulung praktisch überall eingesetzt werden könnte – in den Empfangsbereichen von Krankenhäusern, aber auch etwa in den neuen Teststationen auf Flughäfen und Bahnhöfen.

Die Testdaten sollen über das Krankenhaus-Informationssystem direkt in die elektronische Patientenakte geschrieben werden. Bei mobiler Nutzung werden sie auf Tablets gespeichert und später weitergeleitet.

Spindiag hat bislang 26 Millionen Euro an Investitionen gesammelt. Das Unternehmen ist bereit, nach dem Abschluss von klinischen Tests ab Oktober in Süddeutschland monatlich Testsysteme „in sechsstelliger Zahl” zu produzieren. Wenn die zweite geplante Produktionslinie Anfang 2021 in Betrieb geht, sollen es eine halbe Million Systeme im Monat sein. Dabei soll jeder Corona-Schnelltest aus Südbaden die Anwender nicht mehr als 50 Euro kosten.

Stolz bin ich dann, wenn wir auf dem Markt sind und das System vielen Menschen nützt.
Daniel Mark, Geschäftsführer von Spindiag

Das Unternehmen führt derzeit Gespräche mit Land und Bund über Abnahmegarantien für „Rhonda”, die es braucht, um sicher planen und produzieren zu können. Daniel Mark hat zunächst den deutschen Markt im Blick, mittelfristig will er sein System aber auch in die USA exportieren. Er nennt die vergangenen Monate eine „extrem spannende Zeit”.

Das Start-up wachse so schnell, dass er fast jede Woche einen neuen Arbeitsvertrag unterschreibe. „Das Team zieht toll mit, alle haben sich einem Ziel verschrieben.”

Er selbst konnte dieses Jahr nur eine Woche Urlaub machen. „Die Familie musste leiden, war aber tapfer”, sagt lachend der Geschäftsführer. Mark findet es „wahnsinnig motivierend”, etwas für die Allgemeinheit tun zu können, während Corona den Alltag dominiere und die Gesellschaft jeden Tag viel Geld koste: „Stolz bin ich dann, wenn wir auf dem Markt sind und das System den Menschen nützt.”

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