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Ein letztes Mal

Planungen für Wünschewagen in Südbaden werden konkreter

Der Arbeiter-Samariter-Bund erfüllt todkranken Menschen mit seinem Projekt letzte Träume. Bundesweit gibt es 23 Fahrzeuge, ein weiterer könnte in die Region kommen.

Von Leipzig bis nach Stuttgart: In einem medizinisch ausgerüsteten Fahrzeug brachten ehrenamtliche Mitarbeiter des ASB den sterbenskranken Kai Stiegler zum Stadion.
Von Leipzig bis nach Stuttgart: In einem medizinisch ausgerüsteten Fahrzeug brachten ehrenamtliche Mitarbeiter des ASB den sterbenskranken Kai Stiegler zum Stadion. Foto: Verena Müller

Noch ein letztes Mal bei einem Heimspiel des Lieblingsvereins hautnah dabei sein, noch einmal den Sand unter den Füßen fühlen, das Meer rauschen hören und die warme Sommerbrise auf der Haut spüren. Während gesunde Menschen oft unendlich viele Träume haben, hat ein Schwerstkranker meist nur noch einen einzigen. Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) hat sich das Ziel gesetzt, letzte Herzenswünsche zu erfüllen. Bald soll es ein solches Angebot auch in Südbaden geben.

Kai Stiegler war gerade einmal Anfang 30, als seine Eltern realisieren mussten, dass der unausweichliche Abschied von ihrem geliebten Sohn immer näher rückt. Die Multiple-Sklerose-Erkrankung war so schnell und so weit vorangeschritten, dass es für den jungen Mann kaum noch Hoffnung gab. Während anfangs nur seine Mobilität eingeschränkt war, machte sich die fortschreitende Zerstörung der Nervenzellen bei Kai zunehmend auch in Form von kognitiven Störungen bemerkbar – etwa Sprach- und Wahrnehmungsverlust.

Umso schöner war es für Sabine und Bernd Stiegler, ihr erwachsenes Kind kurz vor dessen Tod noch einmal aufblühen zu sehen – und zwar im Stadion, bei einem Heimspiel seines Lieblingsvereins VfB Stuttgart, wie das Ehepaar rückblickend in einem Video erzählt.

Möglich wurde dieses letzte große Erlebnis durch den sächsischen Wünschewagen des ASB, der den geschwächten, im Rollstuhl sitzenden Kai in Leipzig abgeholt und bis nach Stuttgart ins VfB-Stadion begleitet hat. Die gesamte Wünschefahrt wurde vom ASB in einem Erinnerungsvideo festgehalten.

Bundesweit gibt es inzwischen 23 Wünschewagen, zwei davon sind in Baden-Württemberg etabliert – in Ludwigsburg und Mannheim. Bald soll ein weiterer im Südwesten dazukommen, die Planungen dafür laufen bereits auf Hochtouren, wie Patrick Scholder, Vorsitzender beim ASB Südbaden, ankündigt.

Prinzipiell sei ein Wünschewagen nichts anderes als ein umgebauter Krankenwagen, der dafür da ist, dass Sterbenskranke noch einmal eine letzte Fahrt an ihren Wunschort machen können. Begleitet werden die Todkranken und ihre Familien dabei von ehrenamtlichen Fachkräften aus der Medizin und Notfallpflege. „Unsere Ehrenamtlichen werden nicht nur im Bereich Erste Hilfe und Notfallpflege geschult, sondern in erster Linie auch im Umgang mit Sterbenden“, erklärt Scholder.

Einzigartiges, emotionales Erlebnis

Gemeinsam mit ehrenamtlichen medizinischen Helfern und seiner Familie konnte Kai Stiegler ein letzes Mal bei einem Heimspiel seines Lieblingsvereins VfB Stuttgart dabei sein.
Gemeinsam mit ehrenamtlichen medizinischen Helfern und seiner Familie konnte Kai Stiegler ein letztes Mal bei einem Heimspiel seines Lieblingsvereins VfB Stuttgart dabei sein. Foto: Verena Müller

Seiner Erfahrung nach ist eine letzte Wunschfahrt nicht nur für die todkranken Menschen selbst ein einzigartiges, meist sehr emotionales Erlebnis – auch für deren Freunde und Familie. Bei den Stieglers war das so. „Fußball hat uns sehr verbunden, schon von klein an“, blickt Vater Bernd auf seine gemeinsame Zeit mit Sohn Kai zurück.

Aber als wir dann dort angekommen sind und ich seine leuchtenden Augen gesehen habe, da habe ich gewusst: Wir haben das Richtige gemacht.
Bernd Stiegler, Vater

„Das war so ein richtiges ,Vater-Sohn-Ding‘.“ Anfangs habe er große Bedenken gehabt, dass Kai die weite Reise von Leipzig nach Stuttgart in seinem Zustand überhaupt noch schafft. „Aber als wir dann dort angekommen sind und ich seine leuchtenden Augen gesehen habe, da habe ich gewusst: Wir haben das Richtige gemacht“, erinnert sich Bernd Stiegler an den letzten gemeinsamen Stadionbesuch mit seinem Sohn in Begleitung des ASB-Wünschewagens. Alle Fahrten sind für die Betroffenen und ihre Familien kostenlos, der ASB finanziert das Projekt rein aus Spendengeldern.

Patrick Scholder hofft, die Planungen für den Wünschewagen in Südbaden schnellstmöglich abschließen zu können. „Wahrscheinlich werden wir den Wagen dann in Offenburg ansiedeln“, kündigt er an. Wann genau es soweit sein wird, könne er allerdings noch nicht sagen. „Wir sind von Spätsommer oder Herbst ausgegangen“, verdeutlicht er. Aber wegen der weltweiten Lieferschwierigkeiten, von denen auch die Ausstattung des Rettungswagens betroffen ist, könne sich das Ganze verzögern.

Das Angebot kann jetzt bereits genutzt werden

„Das heißt aber nicht, dass Menschen aus Südbaden das Angebot nicht schon jetzt nutzen können“, betont Scholder. Jeder mit einer unheilbaren Krankheit könne sich beim ASB melden, auch wenn es in der jeweiligen Region noch keinen Wünschewagen gibt. „Wir organisieren das schon und holen die Menschen eigentlich von überall ab“, sagt Scholder.

Gleichzeitig ermutigt er alle Betroffenen, ihre letzte Wünschefahrt nicht zu lange hinauszuzögern. „Viele warten zu lange – im Glauben, solange sie noch fit sind, sei noch nicht der richtige Zeitpunkt für eine solche Fahrt“, weiß Scholder aus Erfahrung. Das sei aber eine falsche Denkweise. „Ich empfehle immer, eine Fahrt schon dann zu machen, wenn man noch so viel wie möglich mitbekommt und das Erlebnis mit seiner Familie in vollen Zügen genießen kann.“

Gemeinsames Erlebnis für Familie Stiegler hilft beim Abschied

Kai habe zu dem Zeitpunkt seiner Wünschefahrt eigentlich nicht mehr so viel von der Außenwelt wahrgenommen, „aber bei dem Spiel war er plötzlich voll dabei“, erzählt Mutter Sabine. Letztlich habe sich die Freude von Kai auch auf sie und ihren Mann übertragen. Das gemeinsame Erlebnis ist für Familie Stiegler bis heute „eine ganz wichtige Erinnerung“, wie Bernd Stiegler betont. Ein Erlebnis, das letztlich auch dabei geholfen habe, gegenseitig loszulassen.

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