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Parlament entscheidet vor der Sommerpause

Strafbar oder straffrei: Zwei Varianten für den assistierten Suizid

Drei Jahre nach dem wegweisenden Urteil des Verfassungsgerichts nimmt der Bundestag einen neuen Anlauf, die Sterbehilfe zu regeln.

Das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital und ein Glas Wasser stehen in einem Zimmer des Sterbehilfe-Vereins Dignitas in Zürich.
Mit dem tödlich wirkenden Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital können Sterbewillige ihrem Leben ein Ende setzen. Sterbehilfevereine stellen es zur Verfügung. Foto: Gaetan Bally/dpa

Gut gemeint ist nicht selten das Gegenteil von gut gemacht. Gut meinte es auch eine Gruppe von Abgeordneten um Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD), Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen), Kathrin Vogler (Die Linke) und anderer aus allen Fraktionen. Sie wollten im Jahr 2015 erreichen, dass Sterbehilfevereinen, die zum Teil für viel Geld Menschen in ausweglosen Situationen die tödlich wirkenden Stoffe für einen Suizid zur Verfügung stellen und bei der Selbsttötung assistieren, ein- für allemal das Handwerk gelegt wird.

Auch bei der Sterbehilfe schafft das Angebot eine Nachfrage.
Michael Brand
CDU-Bundestagsabgeordneter

Und sie hatten zunächst Erfolg. Nach einer ernsthaften, intensiven und alle Aspekte ausleuchtenden Debatte stimmte das Parlament am 6. November 2015 ihrem Entwurf zu. Ins Strafgesetzbuch wurde ein neuer Paragraf 217 aufgenommen, der die geschäftsmäßige und auf Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe unter Strafe stellte. „Auch bei der Sterbehilfe schafft das Angebot eine Nachfrage“, sagte der CDU-Abgeordnete Michael Brand damals zur Begründung.

Doch die Neuregelung hatte nicht lange Bestand. Vier Jahre und vier Monate später, am 26. Februar 2020, erklärte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe unter seinem damaligen Präsidenten Andreas Voßkuhle sie nicht nur für verfassungswidrig, sondern sogar für nichtig. Mit der Verkündung des Beschlusses trat der Paragraf 217 außer Kraft.

Seitdem dürfen in Deutschland Vereine oder Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, Dignitas Deutschland oder der Verein Sterbehilfe Menschen, die aus welchen Gründen auch immer freiwillig aus dem Leben scheiden wollen, dabei ihre Hilfe anbieten, ohne strafrechtlich verfolgt zu werden.

Auch Ärzten drohen keine Konsequenzen. Im Mai 2021 strich der Deutsche Ärztetag das Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe aus der Berufsordnung, stellte aber gleichzeitig fest, dass es dennoch nicht „zum Aufgabenspektrum der Ärzteschaft zählt, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten“.

Kein Anrecht auf Medikamente zur Selbsttötung

Wenn schwerkranke Menschen ihrem Leben selbst ein Ende setzen wollen, sind sie weiterhin auf die entsprechenden Vereine oder Organisationen angewiesen. Denn unverändert gibt es für sie kein Anrecht auf Medikamente zur Selbsttötung.

Sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch das Bundesverfassungsgericht lehnten den Antrag eines Ehepaares ab, eine Genehmigung für den Kauf des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zu erhalten, das in der Schweiz im Rahmen der assistierten Suizidhilfe eingesetzt wird. Zuvor war das Paar bereits in den unteren Instanzen gescheitert.

Eine Kammer des Karlsruher Gerichts verwies im Jahr 2021 auf das Sterbehilfe-Urteil von 2020. Demnach könnte sich das Ehepaar „durch aktive Suche nach suizidhilfebereiten Personen“ oder „auf anderem geeignetem Weg“ selbst helfen. Es gebe durchaus einen „Kreis medizinisch kundiger Personen“, der zu entsprechenden Verschreibungen und anderen Unterstützungshandlungen bereit sei. Zudem seien diese auch rechtlich dazu befugt.

Die Karlsruher Hüterinnen und Hüter der Verfassung verwiesen dabei auch auf den Gesetzgeber, der die Möglichkeit habe, ein neues Gesetz zu erarbeiten und dabei alle Details für assistierte Selbsttötungen festzulegen.

Keine Neuregelung der Sterbehilfe unter Angela Merkel

In der letzten Legislaturperiode unterließ es die Große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) allerdings, eine entsprechende Neuregelung zu verabschieden, obwohl es Initiativen von Abgeordneten gab.

Im Koalitionsvertrag widmeten SPD, Grüne und FDP dem Thema gerade einmal einen Satz: „Wir begrüßen es, wenn durch zeitnahe fraktionsübergreifende Anträge das Sterbehilfe einer Entscheidung zugeführt wird“, schrieben sie.

Sterbehilfe: Aus drei Anträgen wurden nur noch zwei

Derartige Anträge liegen mittlerweile vor. Ursprünglich erarbeiteten drei überfraktionelle Gruppen entsprechende Gesetzentwürfe, die zum Teil stark voneinander abwichen. Mitte Juni führten die konkurrierenden Abgeordnetengruppen, die eine eher liberale Regelung favorisieren, ihre Entwürfe zu einem gemeinsamen Antrag zusammen. Wenn der Bundestag nun noch vor der Sommerpause die Neuregelung der Suizidbeihilfe beschließen will, haben die Abgeordneten die Wahl zwischen einer restriktiven und einer liberalen Regelung.

Die Gruppe um Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Benjamin Strasser (FDP) und Petra Pau (Linke) will trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts die organisierte und geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung grundsätzlich verbieten und einen entsprechenden Passus ins Strafgesetzbuch aufnehmen. Verstöße können demnach mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden.

Nicht rechtswidrig ist die auf Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe nur, wenn bestimmte Wartezeiten und genau geregelte Beratungspflichten erfüllt sind. So müssen Sterbewillige mindestens zwei Untersuchungen durch Fachärzte für Psychiatrie oder Psychotherapie sowie mindestens eine weitere Beratung absolvieren. Zudem ist ein absolutes Werbeverbot für die Assistenz vorgesehen.

Die beiden Gruppen um Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) lehnen hingegen eine Regelung innerhalb des Strafrechts ab und wollen die Suizidbeihilfe grundsätzlich zulassen. Allerdings kann niemand zur Assistenz verpflichtet werden. Bevor Sterbewillige allerdings ein tödlich wirkendes Medikament erhalten, müssen sie sich ärztlich beraten lassen. Dazu sollen die Bundesländer ein entsprechendes Beratungsnetz aufbauen.

Sterbehilfe: Keine Beratung auf Vorrat

Eine Beratung quasi auf Vorrat soll es nicht geben, zwischen Beratung und Suizid müssen mindestens drei Wochen und maximal zwölf Wochen liegen. Organisierte Angebote durch entsprechende Vereine sind zulässig, allerdings kann die Bundesregierung eine Zulassung von einer Zuverlässigkeitsprüfung abhängig machen. Und rein auf Gewinnstreben ausgerichtete Angebote sollen verhindert werden. Diesem Zweck dient auch der Plan, dass die Bundesländer Stellen benennen sollen, die das tödliche Medikament verschreiben.

Einig sind sich beide Gruppen darin, die Suizidprävention zu verbessern und Angebote zur Behandlung und Betreuung von Menschen mit Suizidgedanken anzubieten. Zudem sollen die Hospizarbeit und die Palliativmedizin gestärkt werden.

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