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Sorgfältig restauriert

Ehemalige Gaskammer im elsässischen Konzentrationslager Natzweiler-Struthof ist wieder zugänglich

Die Gaskammer des ehemaligen Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof ist nach umfassenden Restaurierungsarbeiten wieder zugänglich und nun erstmals auch mit einer Dauerausstellung über die Verbrechen, die NS-Ärzte dort verübt haben, ausgestattet. Das Gebäude wurde zum 78. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers wieder für Besucher geöffnet. 

Außenansicht des Hauses.
Sorgfältig restauriert: In dieses Gebäude wurde 1943 die Gaskammer eingebaut. Foto: Bärbel Nückles

Die herbstlich gefärbte Landschaft ist von hier oben schön anzusehen. Wäre da nicht die Gaskammer unweit der Straße, die zum ehemaligen Konzentrationslager Natzweiler-Struthof hinaufführt. Bevor die Nationalsozialisten nach der Annexion des Elsass diesen Ort in den Vogesen für sich entdecken, legen die Leute hier nach dem Skifahren im Winter eine Pause ein.

Es wird getanzt und gefeiert. 1941 entsteht oberhalb von Rothau und Schirmeck ein Konzentrationslager, Natzweiler-Struthof. Das Nebengebäude des Gasthofs wird zunächst als Unterkunft für die ersten Häftlinge, dann als Lagergebäude für Nahrungsvorräte genutzt. Im Frühjahr 1943 wird auf Betreiben deutscher Mediziner der Reichsuniversität Straßburg eine Gaskammer, 2,40 Meter breit, 3,50 Meter tief, 2,60 Meter hoch, ein weiß gefliester kubischer Raum, im Nebengebäude des Gasthofs eingebaut.

Ärzte der Reichsuniversität Straßburg wollten Existenz einer angeblichen jüdischen Rasse nachweisen

Eingerichtet wird sie auf Geheiß deutscher Ärzte an der damaligen Reichsuniversität Straßburg. Einer von ihnen: Otto Bickenbach. 40 Roma-Häftlinge aus dem Lager setzt er dem Kampfgas Phosgen aus, weil er Gegenmittel erprobt. Acht von ihnen sterben einen qualvollen Tod an den Folgen des Experiments.

Der zweite Mediziner, der für ein Verbrechen in der Gaskammer die Verantwortung trägt, ist August Hirt. Hirt, Inhaber des Lehrstuhls für Anatomie an der 1941 im annektierten Elsass gegründeten Reichsuniversität Straßburg, plant, der anthropologischen Sammlung des Instituts eine Sammlung jüdischer Skelette hinzufügen. Das Ziel: die Vorstellung der Nationalsozialisten von der Existenz einer angeblichen jüdischen Rasse untermauern. Zwei Anthropologen selektieren für ihn im Sommer 1943 im Stammlager des Konzentrationslagers Auschwitz 86 Jüdinnen und Juden.

Denn in Natzweiler-Struthof hätte Hirt, was er für seinen fürchterlichen Plan sucht, nicht finden können: Bei den meisten Häftlingen dort handelt es sich um Nacht-und-Nebel-Gefangene, die aus politischen Gründen deportiert wurden. Die 86 Frauen und Männer wissen nicht, was sie erwartet. Josef Kramer, der Lagerkommandant, verrichtet die Tat an vier Abenden im August.

Die Leichen lässt Kramer, „so wie mich Professor Hirt gebeten hatte“, in das Anatomische Institut nach Straßburg bringen. Dort finden sie alliierte Soldaten bei Kriegsende. Namenlos. Einzig die Matrikelnummern, die man ihnen in Auschwitz eintätowiert hat, sind als Hinweis auf ihre Identität geblieben.

Bislang spielte die Gaskammer in der Erinnerungskultur keine Rolle

Seit 2015 erinnern zwei Gedenksteine am Eingang zum Gebäude mit der Gaskammer an die Ermordeten. Wer früher das Lager besuchte und ab 2005 das Europäische Zentrum des deportierten Widerstandskämpfers (CERD), erfuhr vielleicht von der Existenz der Gaskammer. Besichtigungen fanden in der Regel nur mit Besuchergruppen statt.

In der offiziellen Erinnerungskultur spielte die Gaskammer keine Rolle. In den vergangenen 18 Monaten wurde nun nicht nur das Gebäude in handwerklicher Sorgfaltsarbeit restauriert und damit gegen Witterung und Verfall geschützt, so dass es für die Nachwelt bewahrt ist. Zum 78. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers in dieser Woche wurde es wieder für Besucher geöffnet.

Erstmals ist dieser Ort auch mit einer erklärenden Ausstellung ausgestattet. Die Geschichte des Orts von der Medizin im Dienst der nationalsozialistischen Ideologie bis zu den Menschen, die in der Gaskammer ermordet wurden, wird auf weiß mattierten Glaspaneelen vorgetragen, die angelehnt sind an die Wände, so dass die Mauern unangetastet bleiben.

Ein Tübinger Journalist spürte den Biografien der Ermordeten nach

In wenigen Vitrinen sind Gegenstände zu sehen: Ein Mikroskop und histologische Proben sowie ein Notizbuch aus dem Nachlass August Hirts. Neben der Gaskammer: der Trichter, den der Lagerkommandant benutzt hat. Im Raum danach sind ausgewählte Biografien der 86 im Auftrag Hirts ermordeten Frauen und Männer nachzulesen.

Die Biografien, aber auch die Namen und die gezeigten Fotos, gehen auf die Arbeit des Tübinger Journalisten Hans-Joachim Lang zurück, der sich mit der Anonymität der Leichen aus der Straßburger Anatomie nicht abfinden wollte. Lang war in Zusammenhang mit seiner Arbeit als Redakteur in Tübingen, wohin sich Hirt kurz vor Kriegsende geflüchtet hatte, auf das Schicksal der namenlosen Toten aufmerksam geworden.

Einer der Männer, Menachem Taffel, war bereits 1971 anhand der Matrikel-Nummer identifiziert worden. Doch erst Lang gelang es 2003, die Namen der anderen, aus Deutschland, Norwegen, Polen, Griechenland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden zunächst nach Auschwitz, danach nach Natzweiler-Struthof Deportierten, herauszufinden.

Für die Hinterbliebenen ist die Gaskammer ein wichtiger Gedenkort

„Man muss sich nur vor Augen führen, wie diese Menschen zu Tode gekommen sind, um die Bedeutung des Ortes für die Angehörigen zu begreifen“, sagt Lang und verweist auf die fünf Enkelkinder eines der Opfer, Alice Simon, die in den USA leben und mit denen Lang, wie auch mit anderen Angehörigen, die er in zwei Jahrzehnten der Suche ausfindig gemacht hat, in Kontakt steht. Für sie und die anderen Hinterbliebenen sei die Gaskammer „ein wichtiger Gedenkort und ein Ort der Trauer“.

Der Ehering von Alice Simons Mann mit ihrem innenseitig eingravierten Namen sowie ein Schmuckmedaillon mit Fotografien sind nun das Herzstück des Raums, der den 86 gewidmet ist. Zwischen den notwendigen Erklärtexten tragen sie maßgeblich dazu bei, dass die Menschen als Individuen wahrgenommen werden, die ein echtes Leben hatten, nicht nur als Opfer.

Öffnungszeiten

Die Gedenkstätte ist bis zum 30. Dezember täglich von 9:30 bis 17:30 Uhr geöffnet (Schließung um 13 Uhr am 24. Dezember sowie komplett am 25. und 26. Dezember). Das Gebäude mit der ehemaligen Gaskammer ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Jährliche Schließung der Gedenkstätte: vom 31. Dezember bis am 31. Januar.

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