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Aktuelle Debatte

Diskussion über Strukturen: Machtmissbrauch-Debatte prägt auch das Berliner Theatertreffen

Führungskrisen wie am Staatstheater Karlsruhe haben die Theaterszene aufgerüttelt. Auch beim Berliner Theatertreffen ging es nun am Wochenende um Machtmissbrauch – in Debatten, aber auch in einer Schiller-Inszenierung.

Maria Stuart
von Friedrich Schiller 
Deutsches Theater Berlin
Macht macht einsam: Das Setzkasten-Bühnenbild der zum Theatertreffen eingeladenen Inszenierung des Schiller-Dramas „Maria Stuart“ ist geprägt von Wänden. Foto: Arno Declair

Macht macht einsam. Das hat Friedrich Schiller schon vor 221 Jahren in seinem Drama „Maria Stuart“ dargestellt: Die englische Königin Elisabeth, Gegenspielerin der Titelfigur, verzweifelt an der Frage, wie mit ihrer inhaftierten Thronkonkurrentin und Schwester Maria zu verfahren sei.

Die eine Seite ihrer Berater drängt auf Hinrichtung wegen Hochverrats. Die andere warnt davor, durch einen solchen Schritt eine Märtyrerin zu erschaffen, deren Tod die feindlichen Kräfte erst recht anspornt. In einem der markantesten Monologe der Dramengeschichte reflektiert Elisabeth das Dilemma der Herrschenden, für den Machterhalt nicht den eigenen Prinzipien, sondern den Wünschen der Volksmenge folgen zu müssen.

Und in einer der wohl perfidesten Nebenszenen der Geschichte demonstriert Schiller, wie Verantwortung für unpopuläre Taten abgewälzt wird: Elisabeth unterschreibt das Todesurteil zwar, schiebt das weitere Vorgehen aber dem damit völlig überforderten Schreiber Davison zu.

Schiller-Szene beim Berliner Theatertreffen dockt an Debatte um Macht an

Die nun beim digital veranstalteten Berliner Theatertreffen online gezeigte Inszenierung von Anne Lenk am Deutschen Theater Berlin (bis 11. September in der 3sat-Mediathek) legt hierauf zwar keinen besonderen Fokus. Allerdings betont sie die Vereinzelung der Handelnden durch das ästhetisch starke und raffiniert coronakonforme Bühnenbild von Judith Oswald, das die Figuren in einen riesigen Setzkasten mit eingeschränkten Bewegungsräumen stellt.

Dennoch fällt bei der Erstausstrahlung am Samstagabend die Davison-Szene besonders ins Auge. Denn hier geht es um ein Problem, das derzeit die Theaterlandschaft durcheinanderwirbelt und nun auch beim Theatertreffen in Diskussionsrunden behandelt wurde: Sind Machtstrukturen, in denen die alleinige Entscheidungsgewalt und dementsprechend auch die Verantwortung auf nur einer Person ruhen, noch zeitgemäß?

Ich habe den Eindruck: Da kommt eine Menge in Gang.
Marc Grandmontagne, Geschäftsführer Deutscher Bühnenverein

Nein, befinden immer mehr Stimmen. Sogar im Deutschen Bühnenverein, dem Verbund der Theaterträger, der zur monatelangen Führungskrise am Staatstheater Karlsruhe selbst auf Anfrage keine Stellungnahme geben wollte, gibt es mittlerweile Äußerungen wie jene des Geschäftsführers Marc Grandmontagne: „Ich habe den Eindruck: Da kommt eine Menge in Gang“, sagte Grandmontagne der Deutschen Presse-Agentur Anfang Mai.

Eine neue Künstlergeneration bringe ein anderes Hinterfragen von Hierarchien mit, und es gebe eine größere Bereitschaft, Unmut und Kritik zu äußern.

In der Corona-bedingten Pause explodieren Diskurse an Theatern

In der Theatertreffen-Auswahl der „zehn bemerkenswertesten Inszenierungen“ einer Saison sind zwei Häuser vertreten, die dies exemplarisch zeigen. Neben dem Berliner Ballhaus Ost, einem Ort der Off-Szene, ist dies das renommierte Schauspielhaus Zürich, das der Regisseur Nicolas Stemann und der Dramaturg Sebastian von Blomberg seit 2019 leiten.

Von Blomberg erklärte in einer der Diskussionsrunden, in der pandemiebedingten Spielpause seien an den Theatern viele Diskurse „explodiert“ und befand es für „gut, dass wir so durchgeschüttelt werden und dass wir Intendanten sehen, wie viel wir noch lernen müssen.“ Wichtig sei, sich einzugestehen, „dass unsere Selbstwahrnehmung oft nicht so ist wie die Realität“.

Damit schloss er an Ulrich Khuon an. Der Intendant des Deutschen Theaters Berlin hatte als Präsident des Deutschen Bühnenvereins 2018 einen Verhaltenskodex für Theater auf den Weg gebracht. Anlass war damals die MeToo-Debatte gewesen, von der man „kalt erwischt“ worden sei, wie Khuon nun einräumte: „Es musste erst mal ein Bewusstsein für dieses Thema geschaffen werden.“

Wenn man das den Theatern intern überlässt, dann blubbert die Soße weiter wie bisher.
Ulrich Khuon, Intendant und Ex-Präsident Deutscher Bühnenverein

Das Gefühl, man arbeite am Theater ohnehin fair und gerecht, zeige die ungenaue Selbstwahrnehmung. Deshalb sei es auch wichtig, dass mit der Beschwerdestelle Themis eine externe Instanz geschaffen worden sei: „Es war uns klar: Wenn man das den Theatern intern überlässt, dann blubbert die Soße weiter wie bisher.“

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