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Leonid Wolkow

Mitstreiter von Alexander Nawalny: „Frieden mit Putin ist eine extrem gefährliche Illusion“

Der russische Oppositionelle Leonid Wolkow sieht eine zunehmende Proteststimmung in Russland gegen den Krieg. Er warnt davor, durch Verhandlungen mit dem Kreml den Konflikt in der Ukraine einfrieren zu wollen: Putin werde sein Wort nicht halten.

Unerfüllte Hoffnungen auf den Frieden: Der Krieg in der Ukraine geht ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion mit unverminderter Härte weiter. Ukrainische Städte wie Irpin, wo dieses Foto entstand, sind als Orte von russischen Kriegsverbrechen bekannt geworden.
Unerfüllte Hoffnungen: Der Krieg in der Ukraine geht ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion mit unverminderter Härte weiter. Städte wie Irpin, wo dieses Foto entstand, sind als Orte von russischen Kriegsverbrechen bekannt. Foto: Dimitar Dikoff / AFP

Leonid Wolkow war an der Seite seines Freundes Alexei Nawalny, als der bekannteste russische Oppositionspolitiker sich von den Folgen des Giftattentats im Schwarzwald erholt hat.

Der 42-jährige Wolkow ist politischer Direktor der von Nawalny begründeten Antikorruptionsstiftung, 2018 hat er als Stabschef Nawalnys Präsidentschaftswahlkampf organisiert. Als der Putin-Kritiker nach seiner Rückkehr aus Deutschland im Januar 2021 in Moskau verhaftet und inhaftiert wurde, musste Wolkow nach Litauen fliehen.

Aus dem Exil heraus organisiert der frühere Mathematiker und Politiker heute den politischen Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine und dessen skrupellosen Antreiber im Kreml. Die Russen seien politisch aufgewacht, sagt der 42-jährige Wolkow im Interview mit unserer Redaktion.

Wolkow beschwört den Westen, der Ukraine weiter zu helfen, den Kreml durch Sanktionen unter wirtschaftlichen Druck zu setzen und keine Friedensverhandlungen mit dem Kremlchef einzugehen: Putin wolle den Waffenstillstand dazu nutzen, um Kräfte sammeln und einen neuen Krieg loszubrechen.

Sie sind ein Freund und Mitstreiter des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexei Nawalny. Wie geht es ihm in dem Straflager?
Wolkow

Er befindet sich in Isolation in einer winzigen Haftzelle. Diese Bedingungen sind extrem, er sieht schlecht aus. Im Januar war er krank und hat viel an Gewicht verloren. Die Staatsmacht wird Nawalny psychisch nicht brechen können, aber es ist möglich, dass seine Gesundheit einen schweren Schaden nimmt.

Sie haben früher an der Seite Nawalnys gegen den Präsidenten Wladimir Putin gekämpft und die Korruption im Kreml bloßgestellt. Können Sie heute aus dem Exil diese Arbeit fortführen?
Wolkow

Früher bekamen wir nach der Veröffentlichung unserer Enthüllungsvideos immer Besuch von der Polizei, die unsere Ausrüstung mitgenommen hat. Als man unseren Antikorruptionsfonds zu einer extremistischen Organisation erklärt hat, mussten wir unsere Aktivitäten in Russland komplett einstellen. Hier, in Litauen, haben wir ein neues Studio, in dem wir ungehindert arbeiten können. Seit dem Beginn des Überfalls auf die Ukraine berichten wir in einem politischen Videokanal auf Youtube die Wahrheit über Putins Krieg. Unsere monatliche Zuschauerzahl hat 20 Millionen überschritten, die meisten von ihnen sind aus Russland.

Es ist bald ein Jahr seit Beginn dieses Krieges. Wie hat er die russische Gesellschaft verändert?
Wolkow

Sie ist aufgewacht. Die meisten Russen haben sich früher von der Politik ferngehalten. Putin hatte mit ihnen vor Jahren eine stille Abmachung getroffen: Er sorgt für politische Stabilität, und die Gesellschaft lässt ihn im Gegenzug das Land plündern. Diesen Deal hat er selbst aufgekündigt. Bis die Teilmobilmachung im Herbst begann, haben manche Menschen gedacht, dass sie weiter so leben könnten wie früher. Seitdem steht der Krieg an jeder Türschwelle. Laut unserer jüngsten Befragung kennt jeder Achte in Russland jemanden aus seiner näheren Umgebung, der in den Kämpfen gefallen ist. Sehr viele Menschen haben begriffen, dass sie nicht länger politisch blind sein dürfen.

Dennoch: Der Widerstand gegen den Krieg hat nachgelassen. Ist es den meisten Russen egal, was ihr Militär in der Ukraine macht?
Wolkow

Nein. Putin hat gezeigt, dass ihm alle Mittel recht sind, um diese Proteste zu ersticken. Alleine im März 2022 wurden mehr als 20.000 Menschen verhaftet. Viele wurden gefoltert und getötet. Trotzdem demonstriert jeden Tag irgendwo jemand gegen den Krieg. Aus dem dreifachen Zuwachs unserer Zuschauerzahlen im vergangenen Jahr schließen wir, dass die Unzufriedenheit groß ist. Ein Indiz für die Proteststimmung in Russland ist, dass es keinen patriotischen Aufschwung gibt. Das ist bemerkenswert, denn die Staatsmacht gibt seit 2005 jedes Jahr Dutzende Milliarden Rubel dafür aus, um antiwestliche Stimmung zu schüren. Den Russen wird eingeschärft, dass sie gegen ihre Feinde im Ausland genauso kämpfen müssen, wie einst ihre Vorfahren gegen Nazi-Deutschland gekämpft haben. Aber wir sehen keine Freiwilligen, die sich für diesen Krieg melden würden.

Putin hat seine Kriegsziele nicht erreicht, aber er kann offensichtlich nicht zurück. Kann es in dieser Situation Friedensverhandlungen geben?
Wolkow

Sicher kann man nicht mit Putin sprechen. Denn er hat seine Versprechen so oft gebrochen und internationale Verpflichtungen so oft verletzt hat wie kein anderer Staatschef. Putins Unterschrift unter einem Abkommen wäre nicht das Papier wert, auf dem es steht. Der Frieden mit ihm ist eine extrem gefährliche Illusion. Putin versucht, den Westen mit nuklearen Drohungen zu erpressen, damit er auf die Regierung in Kiew einwirkt. Sein Ziel ist ein Waffenstillstand, der den Konflikt „einfriert“. Dann könnte er Völkermord auf den okkupierten Gebieten begehen und in Ruhe einen neuen Krieg vorbereiten. Wir dagegen sollten alles tun, damit seine Probleme unlösbar werden. Wir müssen der Ukraine Waffen liefern. Wir brauchen starken wirtschaftlichen Druck, damit dem Kreml das Geld für den Krieg ausgeht. Und wir müssen die russische Bevölkerung geduldig aufklären und informieren, damit sie sich gegen den Krieg auflehnt.

In Ihrem neuen Buch schreiben Sie, dass eine Palastrevolte gegen Putin das beste Szenario für Russland wäre. Sehen Sie bereits Anzeichen der politischen Spaltung der Machtelite?
Wolkow

O ja. Die ständigen, öffentlich ausgetragenen Konflikte in der Umgebung des russischen Präsidenten sind nicht zu übersehen. Seine alten Mechanismen des Interessenausgleichs in der Elite funktionieren nicht mehr.

Sie schreiben auch, dass Putins System ohne ihn nicht überleben wird. Aber ein plötzlicher Tod des Kremlchefs wäre für Russland nicht das beste Szenario. Warum nicht?
Wolkow

Es wäre für Russland besser, wenn Putin gestürzt wird und sich auf der Anklagebank wiederfindet. Dann könnten wir als Gesellschaft darüber reflektieren, wie es zu dieser Tragödie gekommen ist, und was wir tun könnten, damit sie sich in Zukunft nicht wiederholt. Ein Prozess gegen Putin würde allen die Verbrechen der Staatsmacht vor die Augen führen. Er würde außerdem der Bildung von gefährlichen Mythen über einen großen, aber glücklosen Staatsmann vorbeugen, die einen postautoritären Revanchismus in Russland befeuern könnten. Aber wissen Sie was? Von mir aus, kann er auf einer Bananenschale ausrutschen und sich den Hals brechen. Wir werden mit seinen Anhängern schon irgendwie fertig.

Wenn seine Herrschaft enden würde, könnte dann ein noch extremerer Politiker nachfolgen?
Wolkow

Noch extremer geht nicht. Und es ist auch völlig egal, wer nach Putin kommt, weil ihm Putins Machtinstrumente fehlen werden. Diese Person wird deshalb hundertmal schwächer sein und sich nicht lange an der Macht halten können. Wenn Putin einmal weg ist, wird es vielleicht eine Situation wie nach dem Tod des sowjetischen Diktators Jossif Stalin geben. An der Spitze werden mit aller Macht die Konflikte ausbrechen. Russland wird dann für seine Nachbarn nicht mehr gefährlich sein, weil es nicht dazu fähig sein wird, eine aggressive Außenpolitik zu verfolgen. Und unsere Zivilgesellschaft wird eine Chance für einen Neubeginn bekommen.

Kann Russland ein demokratischer Rechtsstaat werden?
Wolkow

Ja, ohne Zweifel. Russland ist nicht schlechter als das wunderbare Litauen, wo ich lebe. Es hat in den die 90er Jahren das furchtbare sowjetische Erbe abgeschüttelt und ersten Schritte hin zu einer Demokratie gemacht. Das war ein schwieriger Prozess. Putin hat den Menschen eingetrichtert, dass es sehr schmerzhaft wäre, auf diesen Weg zurückzukehren. Aber wenn er weg ist, werden alle sehen, dass es nicht weh tut.

Es gab einige Anschläge auf Putins Gegner im Ausland, hinter denen mutmaßlich der russische Staat steht. Fühlen Sie sich in Litauen sicher genug?
Wolkow

Wir wissen genau, mit wem wir es zu tun haben, und haben keine Illusionen, was Putins Methoden angeht. Es gibt Risiken, die wir einkalkulieren müssen. Aber nichts zu tun, weil man Angst hat, kann keine Option sein. Wir lassen uns nicht einschüchtern.

Vor seiner Verhaftung 2021 hatte Nawalny einige Zeit im Schwarzwald verbracht und sich dort von dem Giftanschlag erholt. War das Ihre Idee? Aus Ihrem Buch erfährt man, dass Sie die Region kennen…
Wolkow

…Ja, ich habe sehr schöne Erinnerung aus meiner Kinderzeit an den Schwarzwald. Darum schlug ich ihm vor, nach Süddeutschland zu fahren, nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Wir wurden dort mit großer Herzenswärme empfangen. Wir werden nie vergessen, welch große Rolle Deutschland im Fall Nawalny gespielt hat.

Lesetipp

Leonid Wolkow: „Putinland: Der imperiale Wahn, die russische Opposition und die Verblendung des Westens“. Droemer Verlag, 2022. 240 Seiten, 22 Euro.

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