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Erstaufnahmestelle in Pforzheim

Pforzheims luxuriöser Asylbewerber-Deal mit Stuttgart hat noch viele Unbekannte

Pforzheims Rathausspitze will weniger Geld für Asylbewerber ausgeben und hofft deshalb auf die Einrichtung einer Erstaufnahmestelle an der Peripherie im ehemaligen Logistikcenter des Versandhauses Bader.

Platz für Asylbewerber: Im ehemaligen Logistikzentrum von Bader will die Stadt eine Erstaufnahmestelle des Landes für Geflüchtete einrichten. Der Plan wird in der Bevölkerung und in den gemeinderatlichen Gremien kontrovers diskutiert.
Kein Platz für Asylbewerber: Im Gemeinderat zeichnet sich eine Ablehnung der von Pforzheims Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) vorgeschlagenen Erstaufnahme im ehemalige Logistikzentrum von Bader ab. Foto: Torsten Ochs

Pforzheim ist in einer luxuriösen Situation. Während Ellwangen zum Beispiel um Platz für eine Weiterentwicklung der Stadt ringt und nicht nur deshalb die Landeserstaufnahmestelle lieber heute als morgen loswerden würde, kann das Oberzentrum an der Enz mit großen Gewerbeflächen punkten, um weniger Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge zugewiesen zu bekommen.

Die Idee, dafür die seit langem weitgehend leere Immobilie des Versandhauses Bader im Brötzinger Tal zu empfehlen, wurde im Rathaus geboren und im Stuttgarter Justizministerium goutiert. Es ist aber bei weitem nicht ausgemacht, ob die Vorteilsrechnung je aufgeht, die Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) und Sozialbürgermeister Frank Fillbrunn (FDP) dazu im weihnachtlich dekorierten Ratssaal skizzieren.

Boch und Fillbrunn bieten Platz für die Kurzzeitunterbringung von Asylssuchenden an, die schnell wieder gehen, und wollen damit die Zuteilungsquote für eine dauerhafte Unterbringung bei dieser Zuwanderungsgruppe drücken. Das, so rechnen sie vor, spare Ausgaben für Personal, Unterbringung sowie Kita- und Schulplätze.

Erstaufnahmestelle hängt vom konkreten Zustand des Gebäudes ab.
Gunter Carra, Justizministerium

Allein ein Satz aus dem Justizministerium des Landes lässt erahnten, wie viele Unbekannte mit dem Deal verbunden sind, den die Pforzheimer Verwaltungsspitze anstrebt. In Stuttgart finden die Verantwortlichen nämlich, dass „zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussage darüber getroffen werden kann, wann das Prüfungsergebnis vorliegt“.

Eher keine Rolle bei dieser Rechnung spielen die über 1.700 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Bei der Stadt nicht, weil sie unterstellt, dass sie bald wieder gehen. Bei der angestrebten EA (Erstaufaufnahmestelle) nicht, weil es dort vor allem um die Unterbringung von Asylsuchenden geht. Die Einrichtung unterscheidet sich von einer LEA (Landeserstaufnahme), weil ihr die sogenannte Verfahrensstraße für Registrierung und Gesundheitsuntersuchung fehlt.

Versandgebäude mit 24.000 Quadratmetern

Ob sie überhaupt nach Pforzheim kommt, „hängt zunächst unter anderem vom konkreten Zustand des Gebäudes ab“, präzisiert Ministeriumssprecher Gunter Carra die Anforderungen. Denn außer einem kurzen Blick auf die insgesamt 24.000 Quadratmeter sowie ein offenes Ohr für Pforzheimer Belange gibt es bislang nichts aus dem Justizministerium. Die Verantwortlich dort wären die Angelegenheit deshalb dem Vernehmen zunächst auch eher nichtöffentlich angegangen.

Mit die ersten, die jetzt tiefer in die architektonische und damit menschliche Dimension des Vorhabens einsteigen, arbeiten im Landesamt für Vermögen und Bau in Pforzheim. Ihre Vororttermine können sie fast mit einem Spaziergang zwischen der Simmlerstraße und der Adolf-Richter-Straße verbinden, es gäbe aber auch stündlich einen Bus in das Industriegebiet mit einer Gewebegebietsoase, auf der der Bader-Bau steht.

Aus Krisen entstandener Zuzug

Dass „das Land nehmen muss, was es kriegen kann“, wie mancher kolportiert, scheint nicht ausgemacht. Der Zuzug von 145.000 Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine, 26.000 Asylsuchenden vor allem Männern aus Syrien, der Türkei und Afghanistan sowie 3.000 humanitäre Aufnahmen aus Afghanistan toppt zwar alles, was 2015 an aus Krisen entstandenem Zuzug zu bewältigen war. Auch ein Flüchtlingsgipfel am 7. Dezember in Stuttgart führte die Nöte vor Augen. „Es kann sich trotzdem aber alles ganz anders entwickeln als jetzt in Pforzheim ins Auge gefasst“, sagt Carra.

Das gilt übrigens auch für die Pforzheimer Hoffnungen. Sollte das Land tatsächlich tief in die Kasse greifen und das Logistikzentrum zu einem Wohnort mit Fenstern, Küchen, Bädern und Gemeinschaftseinrichtungen umbauen, wäre das keine kurzfristige Investition an der Peripherie für rund 1.000 Asylbewerber, die schnell wieder gehen. In den Städten Sigmaringen und Ellwangen wurden die Mietverträge gegen Widerstände gerade bis 2026 beziehungsweise 2025 verlängert.

Asylbewerber statt Factory Outlet Center

In welchem Ausmaß auch bei Erstaufnahmen eine engagierte Bevölkerung und städtische Infrastruktur gefragt sind, lässt sich dort ebenfalls erfragen. In einer luxuriösen Situation wäre Pforzheim verglichen mit den beiden Kommunen allerdings bei der Bevölkerungszahl. Über 120.000 Einwohner stellen ein anderes Gewicht dar, wenn es gilt etwa 1.000 Asylbewerber aufzunehmen, als 17.000 in Sigmaringen und knapp 25.000 in Ellwangen.

Die Menschen zögen in einen Bau, in dem die Eigentümer seit 2019 ein Factory Outlet Center einrichten wollten. Dieses Projekt kam übrigens trotz einiger Kapriolen und viel Diskussionsbedarf nicht über die Phase der Willensbekundung hinaus.

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