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Beim Experiment von „Tonart“ wird viel gelacht

Pforzheimer Chor testet Gesangsprobe per Video-Anruf

Die Digitalplattform Zoom kommt bei Videokonferenzen immer häufiger zum Einsatz. Doch kann man damit auch Musik machen? Der Pforzheimer Chor „Tonart“ hat ein Experiment gestartet. Das Ergebnis war vor allem lustig - und mutmachend.

23 Gesichter schauen in einer Liveschalte durch 23 kleine Kästchen auf einem Bildschirm
Hauptsache Singen: Aufgrund der Lockdown-Bestimmungen können Chöre wie Tonart in Pforzheim nicht mehr klassisch proben. Der neue Chorleiter Sascha Rieger (mit gelbgrünem Rahmen) geht deshalb neue Wege. Foto: Screenshot: Sebastian Kapp

Mit einem schelmischen Lächeln gibt Sascha Rieger die Audiospuren frei. Was folgt, ist kein Chorgesang, wie man es vom Pforzheimer Chor „Tonart“ gewohnt ist. Es ist eine Kakophonie. Der griechische Begriff bedeutet wörtlich übersetzt „schlechte Töne“.

Doch dass es aufgrund der Verzögerung in der Übertragung bei der ersten digitalen Probe des Laienchors quietscht und knarzt und die Töne verschwimmen, das ist Nebensache. In 24 Jahren hat es so ein Experiment bei „Tonart“ noch nicht gegeben. Und deshalb nimmt man es auch mit Humor. Denn es geht um so viel mehr als einen sauberen Ton.

Singen ist sogar in Gottesdiensten verboten

Natürlich singen die rund 20 Chorsänger nicht physisch im selben Raum. Sie sind über den Online-Dienst Zoom zusammengeschaltet, zum ersten Mal. Corona hat auch die Chöre hart getroffen. Singen ist kaum noch möglich.

Selbst das religiöse Singen in Gottesdiensten ist in Pforzheim und Enzkreis aufgrund der hohen Inzidenz-Werte pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen mittlerweile untersagt, für Straßenmusiker erteilt die Stadt ebenfalls keine Genehmigungen mehr.

Also macht Rieger bei seinem Einstand als neuer Chorleiter aus der Not eine Tugend und dirigiert digital. „Ich stelle euch aber alle stumm“, sagt Rieger erst einmal, der bereits in der Pforzheimer Chorakademie mit Zoom experimentiert hat. Gemeinsames Singen ist durch die Verzerrungen und Verzögerungen der Software gerade bei rhythmischen Stücken ein Problem.

Sagt Rieger. Im Chor möchte man es nicht glauben. Also macht Rieger ernst, lässt die Kakophonie erklingen. Danach weiß es jeder.

Abschiedskonzert für früheren Chorleiter fiel Lockdown zum Opfer

Dabei haben die Sänger von „Tonart“ lange um Präsenzproben gekämpft. Beim Pop-Up-Konzert auf dem Pforzheimer Marktplatz im Oktober war man noch aufgetreten, damals noch unter Leitung von Wolfgang Klockewitz, der nach fünf Jahren als Chorleiter ausscheidet.

Wir wollten auch ein Zeichen setzen, dass die Kultur nicht klein beigibt.
Klaus Gusowski, Vorsitzender des Chorvereins

Sein geplantes Abschiedskonzert in der Büchenbronner Bergdorfhalle am 14. November hatte dann wegen des Lockdowns ausfallen müssen. „Wir wollten auch ein Zeichen setzen, dass die Kultur nicht klein beigibt“, sagt der Vorsitzende des Chorvereins Klaus Gusowski. Einzelne kamen freilich nicht mehr zu Proben. Gerade in den Männerstimmen wurde es eng.

Dabei hatte man Corona durchaus ernst genommen, ein umfangreiches Hygiene-Konzept aufgestellt: Abstand von zwei Metern, Lüften alle 15 Minuten, Warmsingen im Freien und Maske tragen, solange man nicht selbst sang. Das Abschiedskonzert, es durfte nicht ausfallen. Als Klockewitz am Tag des Nicht-Konzerts an alle eine E-Mail mit einem Foto von sich am Klavier schickte, kullerten vielen die Tränen. So berichten es einzelne Mitglieder.

Mit Rieger zieht nun ein neues, digitales Zeitalter ein. „Das Tolle ist, dass online die Aerosole nicht spritzen“, sagt der Maulbronner zum Einstieg. Der Vater von fünf Kindern führt manch überfordertes Chormitglied geduldig durch die Tücken der Technik.

Seit 20 Jahren ist er als Chorleiter, Dirigent und Musiklehrer unterwegs, hat unter anderem Jazz-/Pop-Chorleitung in Dänemark studiert. Seit 2019 leitet er auch den Jazzchor „Jazzika“ in Karlsruhe.

Rieger ist zudem Beisitzer im Musikbeirat des Schwäbischen Chorverbandes. In Pforzheim leitete er zuletzt den Icebreaker-Chor der Chorakadamie, von dem er eine Handvoll Sänger mit zu „Tonart“ gebracht hat.

Ein Hauch von Aerobic-Singen

Doch wie singt es sich nun wirklich digital? Überraschend still. Es ist ein professionelles Arbeiten, wie bei einem Aerobic-Kurs. Es gibt einen Vorturner und viele stille Nachsänger.

Auch Rieger hört seine neuen Sänger nicht, außerhalb der Kakophonie. Ein paar wenige bleiben skeptisch. Die meisten aber zeigen sich optimistisch in den kleinen Video-Kästchen. Es wird gelacht, es wird geblödelt. Hauptsache Singen, egal wie, lautet das Motto des Tages.

Dabei wird auch gearbeitet. Die neuen Stücke, „Shallow“ von Bradley Cooper und Lady Gaga sowie „Everything“ von Michael Bublé, müssen erst einmal einstudiert werden. Zumindest über Video sieht man, dass alle fleißig mitmachen. Doch es fehlt das Essentielle eines Chors: das Hören auf die anderen Stimmen, das Einpendeln im Sound der anderen.

Sänger vermissten andere Chormitglieder

Und so stellt Rieger dann doch noch für alle scharf. Der Sopran macht den Anfang. Und immerhin für drei Takte klingt es noch einigermaßen synchron. Doch dann schlägt die Technik zu. Einzelne Stimmen werden überlaut wiedergegeben, andere künstlich leise gestellt. Ein Genuss ist das nicht. Aber das Gefühl ist da, wieder miteinander zu singen.

Und so stehen bei dieser ersten Probe auch andere Dinge im Vordergrund. Einzelne Sänger hatten sich mit der Corona-Pandemie zurückgezogen. Digital sind sie nun wieder da. Und so fallen dann auch Sätze wie „ich habe euch vermisst“ oder „es war, als hätte mir ein Teil meiner Familie gefehlt“. Die Alternative wäre Stille.

Der Chor „Tonart“ probt jeden Mittwoch ab 19.30 Uhr. Mehr Informationen gibt es unter www.tonart-chor.de.

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