Skip to main content

Buch dokumentiert Lebensgeschichten

Entlassen, verhaftet, verarmt: Das Schicksal der Karlsbader Revolutionäre von 1848/1849

Sie waren Lehrer, Ziegler, Soldaten oder Bürgermeister: Zahlreiche Menschen in den Albtal-Dörfern sympathisierten im 19. Jahrhundert mit der Demokratiebewegung oder unterstützten sie aktiv. Dafür landeten einige hinter Gittern, andere flohen ins Ausland.

Eine Zeichnung der Kasematten in Rastatt, wo im August 1849 Tausende Menschen ihre Strafe absaßen.
Gefängnis für Revolutionäre: Eine Zeichnung der Kasematten in Rastatt, wo im August 1849 Tausende Menschen ihre Strafe absaßen. Foto: Hildegard Ried

Ausgerechnet eine Predigt war es, die dem Langensteinbacher Hauptlehrer Johann Becker zum Verhängnis wurde. Im Jahr 1849, als die Badische Revolution in Nordbaden eine Hochphase erlebte und der Staat mit aller Macht versuchte, ihre Unterstützer ausfindig und mundtot zu machen, da hielt Becker den Sonntagsgottesdienst in der Ludwigskirche in Langensteinbach. Die Aufgabe war ihm als Lehrer zugefallen, da die Pfarrerstelle vakant war.

Dass Johann Becker ein Anhänger der Demokratiebewegung war, hatte sich zuvor bereits in seinen Reden bei Versammlungen in Reichenbach und in Wilferdingen gezeigt. Und auch in seiner Predigt vor den Besuchern des Sonntagsgottesdienstes an jenem 17. Juni 1849 machte er keinen Hehl daraus. Am Altar sprach Becker sich für das Gelingen der Revolution aus, betete für die Revolutionäre.

Das brachte den Familienvater letztlich hinter Gitter. Nach der endgültigen Niederschlagung der Revolution im Nordbadischen durch preußische Truppen im Juli 1849 wurde er gefangen genommen und zu zwei Jahren Haft verurteilt.

Revolutionäre wurden in den Rastatter Kasematten inhaftiert

Vermutlich war Becker in den Rastatter Kasematten untergebracht, dem Gefängnis für Revolutionäre, in dem im August 1949 nach Angaben des Historischen Vereins Rastatt rund 4.000 Häftlinge saßen. Die Haftbedingungen in dem Festungsgewölbe sollen unmenschlich gewesen, viele Gefangene Krankheiten und Seuchen zum Opfer gefallen sein. Andere starben beim Fluchtversuch.

Johann Becker war längst nicht der einzige aus der Region um Langensteinbach, der wegen tatsächlicher oder angeblicher Unterstützung der Revolution eine Strafe im Zuchthaus absitzen musste. Ein ähnliches Schicksal traf beispielsweise auch junge Männer aus Ittersbach, aus Reichenbach, aus Spielberg oder Obermutschelbach.

Ihre Geschichten erzählt die Karlsbader Heimatforscherin Hildegard Ried in ihrem bereits 2016 erschienenen Buch „Die Karlsbader Orte in der 1848/49er Revolution – Schicksale der Revolutionäre“. Im 175. Jahr nach der letztlich gescheiterten Revolution, in dem vielerorts an die damaligen Ereignisse erinnert wird, gewinnt es wieder an Bedeutung.

Herrschaftsbeleidung in der Gemeinderatssitzung

Neben Johann Becker taucht in Rieds Buch etwa auch der Name des 24-jährigen Soldaten Christian Becker aus Langensteinbach auf, der als „Canonier“, so Ried, „vermutlich in den Strudel des Aufstandes gezogen worden ist“. Oder der des Ittersbacher Lehrers Karl Finter, der des Hochverrats beschuldigt wurde und schließlich in den Schuldienst nach Sexau versetzt wurde.

Bemerkenswert ist auch das Schicksal des ehemaligen Obermutschelbacher Bürgermeisters Friedrich Schmidt, der in einer Gemeinderatssitzung im örtlichen Wirtshaus „Zum Löwen“ befohlen haben soll, „ein Bild des Großherzogs aus dem Rahmen zu entfernen, um ihn in den Abtritt zu werfen und dafür den Hecker aufzuhängen“.

Das Abbild des Großherzogs zu Boden werfen, um es durch das des badischen Revolutionsführers Friedrich Hecker zu ersetzen – schlimmer hätte die Majestätsbeleidigung wohl kaum sein können. Pech für Schmidt: Jemand hörte in der Sitzung mit und denunzierte ihn.

Schmidt wurde seines Bürgermeisteramtes enthoben und in Karlsruhe inhaftiert. Da er Reue zeigte, wurde er schließlich zu einer Geldstrafe von 500 Gulden verurteilt und kam Mitte 1850 frei. Die Geldstrafe, hieß es, sei seinem Vermögen angemessen.

Viele suchten ihr Glück in Nordamerika

Schmidt sah das anders. Er fürchtete, in die Armut abzurutschen, wie so viele der als Revolutionäre eingestuften Bürger, die mit Geldstrafen belegt worden waren. Und so beschloss er, wie viele andere auch sein Glück im Ausland zu suchen und wanderte nach Nordamerika aus.

Auch Johann Becker emigrierte nach dem Absitzen seiner zweijährigen Haftstrafe nach Amerika. In Deutschland sah der aus dem Schuldienst entlassene Lehrer keine Existenzmöglichkeit mehr. Im Januar 1853 verließ er mit seiner Frau und den Kindern auf einem Schiff die Hafenstadt Le Havre. Im März kam die Familie in New Orleans an.

Von dort ging es mit einem Dampfer 1.500 Kilometer den Mississippi hinauf nach Cincinnati im Bundesstaat Ohio, wo der ans Englische angepasste Name „John Becker“ auf einer Volkszählungsliste aus dem Jahr 1860 auftauchte.

Wie es der Familie in den USA erging, konnte bisher nicht in Erfahrung gebracht werden, schreibt Ried in ihrem Buch. Johann Becker starb 1880 im Alter von 67 Jahren, vermutlich in Ohio, wo Nachkommen von ihm gefunden werden konnten.

Service

Das Buch „Die Karlsbader Orte in der 1848/49er Revolution“, ISBN 978-3-9816605-4-8, wurde 2016 vom Karlsbader Heimatverein herausgegeben. Kontakt und Infos unter www.heimat-karlsbad.de.

nach oben Zurück zum Seitenanfang