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Corona beschleunigt die Modernisierung

Baden-Württemberg befindet sich im digitalsten Wahlkampf aller Zeiten

Schon bei der Planung ihrer Wahlkämpfe setzten die Parteien in Baden-Württemberg auf die sozialen Medien und Online-Formate. Doch dann kam Corona und beschleunigte den Digitalisierungsprozess.

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen, r), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, nimmt an der Videokonferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Bundesländer sowie der Bundeskanzlerin und dem Gesundheitsminister zu Corona-Maßnahmen teil. +++ dpa-Bildfunk +++
Videokonferenz statt Kundgebung: Einen Großteil seines Wahlkampfes wird der baden-württembergischen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) auf digitalem Wege bestreiten. Foto: Jana Höffner picture alliance/dpa/Staatsministerium Baden-Württemberg

Wahlkampf früher: Das waren Infostände in Fußgängerzonen oder auf belebten Plätzen, Kundgebungen mit hunderten Anhängern im Freien, Versammlungen oder Frühschoppen in Hinterzimmern von Gasthöfen oder das Klingeln an Haustüren, um mit den Wählerinnen und Wählern ins Gespräch zu kommen.

Wahlkampf heute: Das sind Video-Konferenzen vom heimischen Arbeitszimmer aus, Online-Veranstaltungen im Internet oder virtuelle Debatten, ein direktes Kommunizieren mit den Wählerinnen und Wählern auf Twitter, Facebook oder Instagram sowie sprechende Wahlplakate, die mit einem QR-Code versehen sind und zu einem Video auf der Homepage des Kandidaten führen.

Wir werden vieles neu und noch mehr anders machen.
Manuel Hagel, CDU-Generalsekretär

Baden-Württemberg erlebt eine Zeitenwende: „Das wird der digitalste Wahlkampf, den wir jemals hatten“, sagt CDU-Generalsekretär Manuel Hagel gegenüber den BNN. „Wir werden vieles neu und noch mehr anders machen als in der Vergangenheit.“

Ähnlich formuliert es auch der Landeschef der Grünen, Oliver Hildenbrand, im Gespräch mit unserer Zeitung: „Dieser Wahlkampf wird anders aussehen als die Wahlkämpfe der Vergangenheit und sich auch völlig anders anfühlen. Noch nie haben Online-Formate eine so wichtige Rolle gespielt.“

Und auch SPD-Spitzenkandidat Andreas Stoch spricht von einem „Wahlkampf unter ganz anderen Bedingungen“. Wobei das Ziel am Ende das Gleiche sei: „Ich will mit möglichst vielen Baden-Württembergern sprechen, ob online oder mit Abstand.“

In den Geschäftsstellen der Parteien in der Landeshauptstadt Stuttgart laufen die Vorbereitungen für die Landtagswahl am 14. März auf Hochtouren. Schon bei der Planung des Wahlkampfes war den Generalsekretären und Geschäftsführern der beiden Regierungsparteien Grüne und CDU wie der Oppositionsparteien SPD, FDP und AfD sowie der nicht im Landtag vertretenen Linken klar, dass Online-Formate und die sozialen Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram eine wichtige Rolle spielen würden.

Gleichwohl setzten sie auch in einem starken Maß auf klassische Formate wie Auftritte der Spitzenkandidaten in möglichst vielen Wahlkreisen, Versammlungen, Plakate und Flyer.

Das ist ein gewaltiger Sprung nach vorne.
Oliver Hildenbrand, Landesvorsitzender der Grünen

Doch dann kamen Corona – und der Lockdown. Das Virus, das bestätigen die Wahlkampfplaner aller Parteien auf Nachfrage, habe die Parteien geradezu zur Modernisierung ihrer Strategien und zur Digitalisierung gezwungen. „Das ist ein gewaltiger Sprung nach vorne“, sagt Oliver Hildenbrand. „Das war ohnehin überfällig und notwendig, aber Corona hat die Digitalisierung unserer Parteiarbeit definitiv beschleunigt.“

Kretschmann hat einen Podcast ins Leben gerufen

So haben in die Grünen in ihrer Landesgeschäftsstelle zwei Studios eingerichtet, ein eher nüchterner mit einem Rednerpult, ein zweites, das eine behagliche Wohnzimmeratmosphäre ausstrahlen soll, in denen unter anderem die Gesprächsreihe „Sag mal“ mit den Ministerinnen und Ministern aufgezeichnet wird.

Und Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat mittlerweile seinen eigenen Podcast ins Leben gerufen, in dem er zu allen möglichen Themen Stellung nimmt. „Das ist ein Format, das ihm liegt und in dem er sehr authentisch rüberkommt“, sagt Hildenbrand.

Manuel Hagel hat schon bei seiner Wahl zum CDU-Generalsekretär im Jahr 2016 seiner Partei eine umfassende Frischzellenkur verordnet. Unter wissenschaftlicher Anleitung wurden die verlorenen Wahlen 2011 und 2016 analysiert und eine langfristige Digitalstrategie entwickelt, zudem ließ er sich von erfolgreichen Wahlkämpfern wie der CSU in Bayern, der CDU in Bremen oder der ÖVP in Österreich erklären, wie ein moderner Wahlkampf funktioniert.

„Wir wollten wissen, wie machen es die Könner – und wo können wir es noch besser machen.“ Das Ergebnis: In der Geschäftsstelle gibt es ein eigenes Digitalteam mit fünf Mitarbeitern zwei eigene Studios, alle 70 Wahlkreiskandidaten erhielten eine persönliche Schulung und Beratung, zudem wurden ein Social-Media-Service und eine Ideenbörse eingerichtet.

Eisenmann reist digital durchs Land

Als Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann ihre Reise durch alle 70 Wahlkreise wegen des Lockdowns beenden musste, konnte sofort auf ein digitales Format umgestellt werden, berichtet Hagel nicht ohne Stolz. „Wir erreichen damit sogar mehr Leute als bei den ursprünglich geplanten Terminen.“

Die SPD verweist ebenfalls darauf, dass sie schon vor Corona die Weichen für den digitalen Wahlkampf gestellt und eine „digitale Werkstatt“ eingerichtet habe, in der man selber Inhalte produzieren und erfolgreiche Online-Veranstaltungen durchführen könne. „Das hat jetzt noch einmal einen anderen Stellenwert eingenommen“, sagt Parteisprecherin Maja Schubert.

Alle 70 Kandidaten erhalten aktuelle Nachrichten und aufbereitete Inhalte zugeschickt, die sie jeweils für ihren eigenen Wahlkreis anpassen können. Zudem bestehe über die interne digitale Plattform „Rotes Netz“ die Möglichkeit, Erfahrungen weiterzugeben und originelle Ideen für pandemiekonforme Wahlkampf-Formate auszutauschen.

Auch der FDP-Landesverband stellt seinen Kandidaten hilfreiche Tools für ihre Auftritte in den sozialen Medien zur Verfügung. So gibt es einen „Kachelgenerator“, mit dem die Bewerber einfach und schnell eigene Bildbeiträge im Design der FDP-Kampagne erstellen können. Und Claudia Haydt, die Landesgeschäftsführerin der Linken, sagt: „Interaktive Formate wie Online-Bürgersprechstunden und Live-Chats sind für uns inzwischen längst kein Neuland mehr, für Wahlkreise in ländlichen Regionen bieten sie große Chancen.“

Trotz aller Digitalisierung spielen aber auch die klassischen Formate weiterhin eine wichtige Rolle. So wollen sowohl die Grünen als auch die FDP mehr Großflächenplakate als in der Vergangenheit aufstellen – die Grünen wollen die Zahl von 750 beim letzten Mal auf rund 1200 im ganzen Land erhöhen.

„Wir müssen trotz der Pandemie im öffentlichen Raum sichtbar sein“, sagt Landeschef Hildenbrand. „Die Menschen erwarten, dass wir als Partei präsent sind und wahrgenommen werden.“ Zudem sei es wichtig, auch jene Wähler zu erreichen, die nicht in den sozialen Medien unterwegs sind.

Ich will mir vor Ort ein Bild von den Menschen machen.
Andreas Stoch, SPD-Landes- und Fraktionschef

SPD-Spitzenkandidat Andreas Stoch hält an seinem Plan fest, alle Wahlkreise zu bereisen und dort mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Er wolle sich „vor Ort ein Bild von den Menschen machen, die unser Land so erfolgreich gemacht haben“, sagt er. Und auch CDU-Generalsekretär Manuel Hagel räumt ein: „Der digitale Wahlkampf ist einfach anders als er analoge. Aber nicht besser oder schlechter. Was fehlt ist die menschliche Nähe, der direkte Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern.“

Insofern ist er sich sicher: „Den klassischen Frühschoppen wird es auch in Zukunft geben. Aber wir müssen gleichzeitig viele neue Formate finden.“

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