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Drei Jahre Pandemie

Chef des Karlsruher Gesundheitsamtes zieht Corona-Bilanz: „Es ist gelungen, Leben zu retten“

Vor drei Jahren veränderte das Coronavirus den Alltag. Die Epidemie und die Lockdowns legten das Land lahm. Auf den Intensivstationen herrschte Ausnahmezustand. Wir blicken zurück und ziehen Bilanz.

Eine Intensiv-Pflegerin versorgt einen schwer an Corona erkrankten Patienten auf der Intensivstation des Klinikums in Fulda. Viele Patienten mit schweren Verläufen liegen mehrere Wochen auf der Intensivstation, rund die Hälfte der künstlich beatmeten Patienten stirbt. +++ dpa-Bildfunk +++
Patienten mit schweren Krankheitsverläufen lagen zum Teil wochenlang auf den Intensivstationen und mussten künstlich beatmet werden. Foto: Boris Roessler/dpa

Über Nacht kam das öffentliche Leben zum Erliegen. Eben noch belebte Innenstädte waren wie leergefegt und glichen Geisterstädten, Kitas und Schulen wurden geschlossen, ebenso Geschäfte, Restaurants und Kultureinrichtungen. Veranstaltungen wurden abgesagt, die Fußball-Bundesliga pausierte.

Vor drei Jahren, im März 2020, sorgte das Coronavirus, das zum Jahreswechsel erstmals in China aufgetreten war und im Januar auch Deutschland erreichte, für Angst und Schrecken. Am 9. März gab es in Nordrhein-Westfalen die ersten Todesfälle. Mittlerweile gilt die Pandemie als beendet.

Infektionen

Das Robert-Koch-Institut (RKI) registrierte rund 38 Millionen Infektionen. Mehr als 165.000 nachgewiesene Infizierte starben entweder an oder mit Corona.

Rund eine Million Infizierte leiden an Post-Corona-Symptomen, davon allein rund 324.000 in Baden-Württemberg. Bei 30.000 Menschen im Südwesten wurde das chronische Erschöpfungssyndrom ME/CFS diagnostiziert.

Mund- und-Nasen-Masken

Am Anfang reichte ein simples Tuch. Medizinische Mund-Nasen-Masken waren rar und mussten für teures Geld beschafft werden. Manche Abgeordnete entdeckten dies als eine lukrative Einnahmequelle. Für eine üppige Provision traten sie als Vermittler auf. Später gab es die Masken für weniger als einen Euro beim Discounter.

Der Überfluss bereitet neue Probleme. Allein in Baden-Württemberg wurden im Februar OP- und FFP2-Masken sowie Kittel im Wert von 2,1 Millionen Euro vernichtet, weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen war.

Für Peter Friebel, Chef des Gesundheitsamtes Karlsruhe, und Ulrich Wagner, Leiter der Abteilung Infektionsschutz, war die Maske die „effektivste und kostengünstigste Maßnahme“ im Kampf gegen die Übertragung des Virus. „Geringer Aufwand, keine Nebenwirkungen, hoher Schutzeffekt“. Ihre Gegner sprachen hingegen vom „Maulkorb“ und einer Beeinträchtigung ihrer Freiheit.

Die Corona-Impfstoffe

So schnell ging es noch nie nach dem Aufkommen eines neuen, bislang unbekannten Erregers: Schon ein Jahr nach dem ersten Auftreten des Coronavirus im chinesischen Wuhan standen mehrere Impfstoffe zur Verfügung.

Ende September 2022 waren weltweit 47 Covid-19-Impfstoffe zugelassen, sechs davon in der EU. Bereits zu Beginn des Jahres 2021 konnten bundesweit eigene Impfzentren eingerichtet werden, um die Bevölkerung zu immunisieren, anfangs galten strenge Priorisierungslisten.

Mittlerweile wurden nach Angaben des Robert-Koch-Instituts 192,1 Millionen Impfdosen verabreicht. 63,6 Millionen Bundesbürger gelten als grundimmunisiert (zwei Impfungen), das sind 76,4 Prozent der Bevölkerung, 52,1 Millionen (62,6 Prozent) haben zusätzlich eine Booster-Impfung, 12,6 Millionen (15,1 Prozent) sogar zwei Booster-Impfungen erhalten. 18,4 Millionen Menschen sind nicht geimpft.

„Die Impfung hat die entscheidende Wende gebracht“, sagt der Karlsruher Gesundheitsamtschef Peter Friebel. Dank ihr konnten die schweren Ausbrüche in den Alten- und Pflegeheimen gestoppt und die Zahl der Intensivpatienten massiv gesenkt werden.

Debatte um Impfpflicht

Die Impfung war von Anfang an umstritten. Unterschiedliche Bevölkerungsgruppen lehnten eine Impfung aus diversen Gründen ab, da sie den neuen Impfstoffen misstrauten oder gesundheitliche Schäden befürchteten.

Eine allgemeine Impfpflicht wurde erwogen, scheiterte aber im Bundestag. Beschlossen wurde lediglich eine zeitlich befristete Impfpflicht für das Personal im Gesundheits- und Pflegebereich.

Mehr als 330.000 Bundesbürger haben mittlerweile gesundheitliche Probleme oder gar Schäden nach einer Corona-Impfung gemeldet. Das entspricht ungefähr einer Meldung auf 500 Impfungen.

Die Corona-Teststationen

Anfangs waren sie rar, später schossen sie wie Pilze aus dem Boden – die Stationen, in denen man sich auf das Virus testen lassen konnte. Zunächst waren die aufwendigen PCR-Tests rationiert, da die Laborkapazitäten begrenzt waren, rasch aber kamen die Antigen-Schnelltests sowie die einfach zu handhabenden Selbsttests auf den Markt.

Mehr als zwölf Milliarden Euro an Steuermitteln gab der Bund bis zur Einstellung der kostenlosen Bürgertests dafür aus. Das lockte aber auch Kriminelle an, mehr als 600 Verfahren wurden mittlerweile wegen Abrechnungsbetrugs eingeleitet.

Um das zu verhindern, wäre es aus Sicht von Experten sinnvoller gewesen, die privat betriebenen Teststationen rascher zu schließen und auf ein System von Selbsttests und anschließender PCR-Bestätigung bei positivem Ergebnis in den Arztpraxen zu setzen.

Corona-Warn-App und Luca-App

Genesen oder geimpft beziehungsweise genesen, geimpft und (negativ) getestet – auf dem Höhepunkt der Pandemie waren die Kürzel 2G oder 3G allgegenwärtig.

Der aktuelle Status konnte mithilfe der Corona-Warn-App oder der Luca-App nachgewiesen werden. Praktisch jeder Bundesbürger hatte die entsprechenden Apps auf seinem Smartphone, um ein Geschäft, ein Restaurant oder das Kino besuchen zu können. In der Zwischenzeit fristen sie wieder ein Schattendasein.

Für die Gesundheitsämter spielten sie allerdings nur eine untergeordnete Rolle. „Die klassische Kontaktnachverfolgung war effektiver“, sagt Ulrich Wagner vom Infektionsschutz in Karlsruhe.

Kita- und Schulschließungen

Die Pandemie hat Kinder und Jugendliche besonders hart getroffen. Kitas und Schulen wurden geschlossen, berufstätige Eltern standen vor dem Problem, eine Betreuung für ihre Kinder organisieren und gewährleisten zu müssen.

Homeschooling statt Präsenzunterricht, lautete die Devise. Ein Problem vor allem für sozial schwache Familien, die nicht über die entsprechende technische Ausrüstung verfügten. Aber auch viele Schulen waren auf den Distanzunterricht nicht vorbereitet, die Defizite bei der Digitalisierung traten offen zutage.

Für Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist im Rückblick klar, dass die langen Kita- und Schulschließungen ein Fehler waren. Während die Regierung die Betriebe „relativ geschont“ habe, sei sie bei den Kindern „sehr hart eingestiegen“, räumte er ein.

Bildungsforscher wie Olaf Kölle schlagen Alarm: Durch Corona sei jeweils ein Drittel eines Schuljahres verloren gegangen. „Insbesondere die jüngeren und benachteiligten Kinder haben unter der Pandemie gelitten.“

Online-Shopping

In der Krise waren der klassische stationäre Einzelhandel und die Warenhäuser in den Innenstädten schon vor Corona. Onlinehändler wie Amazon, Zalando oder auch Otto setzten ihnen zu und nahmen ihnen Marktanteile.

Die Pandemie hat den Prozess beschleunigt. Die Kontaktverbote und langen Schließungen der Einzelhandelsgeschäfte forcierten den Trend zum bequemen Online-Shopping. Nach jüngsten Umfragen kaufen mittlerweile 93 Prozent der Deutschen Waren in Online-Shops ein, 52 Prozent gaben an, dass sie mehr online einkaufen als vor der Pandemie.

Fazit

„Wir sind an unsere Grenzen und zum Teil auch darüber hinaus gestoßen“, sagt Peter Friebel. Die erste Pandemie seit Jahrzehnten habe bestehende Defizite sowohl bei der medizinischen Versorgung als auch bei der Digitalisierung schonungslos offengelegt.

„Den Notstand bei Hausärzten, Kliniken und Pflegepersonal gab es schon vorher, da hat die Pandemie zusätzliche Lücken gerissen.“ Von der Politik hätte sich der Chef des Gesundheitsamtes schnellere und mutigere Entscheidungen gewünscht. „Wir haben am Anfang zu langsam reagiert – und wir haben am Ende zu lange an den Maßnahmen festgehalten.“

So hätte aus seiner Sicht auf Grund der veränderten Eigenschaften von Omikron die einrichtungsbezogene Impfpflicht viel früher aufgehoben werden sollen. Gleichwohl zieht er insgesamt eine positive Bilanz. „Durch den Einsatz aller Kräfte ist es gelungen, Leben zu retten und das System vor dem Kollaps zu bewahren.“

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