Mit der Kombilösung geht in Karlsruhe auch ein neues Liniennetz an den Start
Um 14 Uhr am 11. Dezember ändern sich auf einen Schlag einige Linienverläufe im Karlsruher Tram-Netzwerk. Wie der neue Plan entstanden ist und was routinierte Bahnfahrer nun wissen müssen.
Wenn die ersten Bahnen durch den Tunnel unter der Kaiserstraße rollen, müssen sich viele Bahnkunden neu orientieren. Der Karlsruher Verkehrsverbund (KVV) nutzt die Gelegenheit der Inbetriebnahme der Kombilösung Karlsruhe, um sein Liniennetz umzustrukturieren.
Neue Routen, Fahrtziele oder Nummern gibt es für einige Tramlinien im Stadtgebiet. Im Umland ändern sich nur Abfahrtszeiten.
Der neue Plan ist das Ergebnis monatelanger Abstimmungsarbeit – und ein Kompromiss zwischen Qualität und Kosten. Klicken Sie auf die einzelnen Liniennummern, um Details zu erfahren.
Im Osten ändert sich für die Linie 1 nichts, sie startet weiterhin in Durlach und fährt über die Durlacher Allee in Richtung Innenstadt. Als einzige Tram-Linie verkehrt sie planmäßig in voller Länge durch den Tunnel unter der Kaiserstraße. Hinter der westlichen Tunnelrampe ändert sich die bisherige Linienführung. Statt nach Oberreut fährt die 1 nun über die Nordstadt nach Neureut-Heide.
Die Tram von Wolfartsweier nach Knielingen Nord ist die einzige, für die sich (fast) nichts ändert. Die Route führt wie vor dem Kombi-Umbau über die Durlacher Allee, ehe die 2 unter dem Marktplatz auf den Südabzweig wechselt. Unter der Ettlinger Straße geht es bis zum Hauptbahnhof und von dort weiter über die Ebertstraße, das ZKM und die Karlstraße oberirdisch bis zum Europaplatz sowie schließlich zur Endhaltestelle in Knielingen Nord. Außer den Tunnelpassagen sowie der Verlängerung der Route im Westen hat sich damit um Vergleich zur Zeit vor dem Umbau nichts geändert. Weil die Ettlinger Straße für den Tunnelbau einige Jahre gesperrt war, fuhr die 2 jedoch zuletzt durch die Rüppurrer Straße.
Komplett umgekrempelt hat der KVV die Linienführung nach Daxlanden beziehungsweise Rintheim. Ab dem 12. Dezember verbindet die Linie 3 die beiden Stadtteile. Die Route führt von Rintheim bis zum Durlacher Tor und dann oberirdisch weiter zum Kronenplatz. Als einzige reguläre Linie fährt die 3 künftig durch die Rüppurrer Straße, zum Hauptbahnhof, durch die Karlstraße bis zum Europaplatz und von dort weiter über die Kaiserstraße bis nach Daxlanden. Durch den Tunnel geht es mit der 3 nicht. Bislang steuerte die Linie 6 Daxlanden an, Anfang des Jahrtausends die 2. Von Rintheim aus ging es bisher über den Kühlen Krug in den Rheinhafen.
Auch hier knüpft der KVV neue Verbindungen. Die 4 verkehrt ab dem 12. Dezember zwischen der Waldstadt und Oberreut. Sie nutzt dafür vom Durlacher Tor kommend das reaktivierte Streckenstück durch die Kapellenstraße und biegt dann zu den neuen oberirdischen Haltestellen auf der Kriegsstraße ab. Vom Karlstor aus führt die Route zum Europaplatz, dann über Kaiserallee und Schillerstraße bis nach Oberreut. Beide Stadtteile verlieren damit ihre direkte Verbindung zum Marktplatz. Bislang war Oberreut durch die Linie 1 mit Durlach verbunden, die Route führte komplett durch die Kaiserstraße. Auch aus der Waldstadt ging es zunächst durch die Innenstadt, ehe die Bahn am Europaplatz Richtung Hauptbahnhof abbog.
Für diese Linie hat der KVV die neue Endhaltestelle Durlach Bahnhof eingeführt. Von dort geht es über die Süd-Route vorbei an Schloss Gottesaue, durch die umgestaltete Kriegsstraße, über das Karlstor, die Mathystraße und den Kühlen Krug bis zum Rheinhafen. Wie die Linien 3 und 4 fährt auch die 5 regulär durch keinen der neuen Tunnel. Vor dem Kombi-Umbau war die 5 vom Rheinhafen nach Rintheim unterwegs, im Citybereich über die Haltestelle Konzerthaus, die im neuen Plan nicht mehr vorkommt, bis zum Marktplatz. Diesen direkten Anschluss zum Herzen der Stadt gibt es nun nicht mehr.
Im neuen Netzplan ist keine Linie 6 mehr vorgesehen, bisher verband sie Daxlanden und den Hirtenweg. Die Linie 8 zwischen Durlach und Wolfartsweier ist von den Umstellungen nicht betroffen.
Für die Stadtbahnen ändert sich durch den neuen Netzplan fast nichts – abgesehen von einigen Abfahrtszeiten und der nun teils unter- statt oberirdischen Routenführung. Zudem nutzen alle Bahnen, die während der Bauarbeiten auf die Rüppurrer Straße ausweichen mussten (S1/S11, S7, S8, S4, S52), nun den neuen Südabzweig unter der Ettlinger Straße. Die S2 fährt zudem künftig eine Extra-Schleife. Statt vom Durlacher Tor aus direkt in die Karl-Wilhelm-Straße einzubiegen, geht es laut neuer Planung durch die Durlacher Allee in die Tullastraße und von dort aus über den Hauptfriedhof zurück zur gewohnten Strecke.
Weil die oberirdische Haltestelle am Marktplatz wegfällt, hat der KVV das Nightliner-Konzept völlig neu aufgestellt. Das Rückgrat bilden nun die Linien S1/S11, sowie die S5. Beide werden in den Nächten vor Samstag, Sonntag und Feiertagen im 30-Minuten-Takt unterwegs sein. Sie treffen sich jeweils zur vollen und halben Stunde unterirdisch am Marktplatz. Die Nightliner-Tram NL1 fährt künftig von der Waldstadt unter der Kaiserstraße bis nach Heide. Die NL2 ist von Durlach über den Marktplatz, den Hauptbahnhof und den Europaplatz bis nach Oberreut unterwegs. Änderungen gibt es auch im Busnetz.
Wie ein komplett neuer Linienplan entsteht
Wie kam der Plan zustande?
Daran waren viele verschiedene Stellen beteiligt. So hat beispielsweise das Zuse Institut in Berlin für die Karlsruher Verkehrsplaner hunderttausende Varianten und Möglichkeiten durchgerechnet. Es ging darum, die beste Kombination zwischen einer teuren Optimierung der Gesamtfahrzeit und der Kostenoptimierung, die wiederum mit einem Qualitätsverlust einhergeht, zu finden, berichtet Mathematiker Ralf Borndörfer vom Zuse Institut.
Welche Vorgaben hatte das Zuse Institut?
Zunächst sehr wenige. Aus Karlsruhe kam der Wunsch, ergebnisoffen zu rechnen, sagt Borndörfer. Für natürliche Leitplanken sorgte allerdings die Infrastruktur. Es ist klar, dass Linien nur an bestimmten Stellen im Netz beginnen und enden können. Auch Abbiegemöglichkeiten und die Kapazität von Streckenabschnitten spielten eine Rolle. So konnten sich die Berliner Forscher durchaus vorstellen, aus Optimierungsgründen mehr Linien durch die neuen Tunnel zu führen – durch deren Kapazität und den Wunsch nach einem „Puffer“ war das aber nicht möglich.
Welche Daten bildeten die Grundlage für die Berechnungen?
Hier sind Millionen Informationen eingeflossen. Die Forscher haben vor allem Fahrgast-Zahlen genutzt (soweit sie verfügbar waren) und im Modell durch zahlreiche weitere Informationen wie die Bevölkerungsprognose der Stadt für das Jahr 2030 ergänzt. Danach teilten die Mathematiker die Stadt in Bezirke ein und berechneten Tabellen mit Quellen und Zielen der angenommenen Fahrgäste. Noch präziser wäre das möglich, wenn es differenzierte Informationen beispielsweise zu den Tageszeiten gäbe, sagt Forscher Borndörfer. Dem stehe in Deutschland aber der Datenschutz entgegen. Berücksichtigt hat er mit seinem Team viele weitere Faktoren, etwa die Fahrzeit im Vergleich mit dem Auto. Selbst im Gespräch befindliche Ausbaumaßnahmen flossen in das Modell mit ein.
Gibt es nun Gewinner und Verlierer?
Mit Sicherheit, denn die rein individuelle Perspektive entspricht nicht in jedem Fall der gesamtgesellschaftlichen. Die Forscher haben sich das Netz allein anhand der Daten angeschaut, dem KVV Ergebnisse präsentiert und Vorschläge unterbreitet. Der neue Netzplan ist nun ein Kompromiss, in den viele Überlegungen und Berechnungen eingeflossen sind. Aus mathematischer Sicht verändert sich die optimale Lösung je nach Gewichtung der Faktoren. Wer beispielsweise nur auf die Gesamtfahrzeit der Kunden schaut, bekommt ein anderes Ergebnis als derjenige, der ausschließlich die Kosten minimieren möchte.
Was sagen die Bürgervereine in Stadtteilen, die nun keine direkte Verbindung zum Marktplatz mehr haben?
Kurz gefasst, sie sind sauer. Zusagen seien nicht eingehalten worden, kritisiert etwa Harald Keller vom Bürgerverein (BV) Waldstadt. Vor Jahren habe der damalige KVV-Chef Walter Casazza versprochen, dass der Stadtteil künftig zwei Verbindungen haben werde – eine in die Nordweststadt und eine zum Hauptbahnhof. „Und jetzt ändert man das plötzlich“, sagt Keller. Warum etwa Rintheim mit der Hälfte der Einwohner nun eine Direktverbindung zum Bahnhof habe und die Waldstadt nicht, sei völlig unverständlich. Unglücklich ist man auch in Oberreut, wie BV-Vorstandsmitglied Johannes Stober sagt. Für fast alle Ziele östlich des Europaplatzes verlängerten sich die Fahrzeiten. Auch er kritisiert, dass die Ankündigung vor dem Bürgerentscheid 2002 eine andere war. Beide rechnen allerdings damit, dass der große Ärger erst noch kommen wird. Viele in den Stadtteilen hätten sich vor der Umstellung gar nicht mit dem neuen Netz beschäftigt.