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Umzug nach Wien

Abschied vom Raumschiff: Peter Weibel verlässt das Karlsruher ZKM

Er hat eine Waffenschmiede zur Medienkunst-Attraktion gemacht: Peter Weibel verlässt nach 24 Jahren das ZKM. Doch Ruhestand gibt es für Nomaden nicht.

Peter Weibel, Künstler und Direktor des Zentrum für Kunst und Medien (ZKM), zieht mit seinen 120.000 Büchern zu seiner Lebensgefährtin nach Wien.
Peter Weibel, Künstler und Direktor des Zentrum für Kunst und Medien (ZKM), zieht mit seinen 120.000 Büchern zu seiner Lebensgefährtin nach Wien. Foto: Uli Deck/dpa

Der Schreibtisch lässt sich nur erahnen. Papierberge, Bücher, Tüten, Kartons, Fotos und Wechselschuhe besetzen im Büro nahezu jeden freien Zentimeter.

Mittendrin sitzt Peter Weibel – Medien- und Aktionskünstler, Theoretiker, Kurator, Vordenker, Provokateur. Er würde ja gerne aufräumen, dürfe aber nicht, sagt er grinsend und verweist auf das Schild an der Tür: „Das Büro wurde zum Weltkulturerbe erklärt.“ Ende März muss er doch mal ran. Dann verlässt er nach fast einem Vierteljahrhundert an der Spitze das Karlsruher Medienkunstzentrum ZKM.

Am 5. März wird Weibel 79 Jahre. Für einen wie ihn noch lange kein Grund aufzuhören. Er wird nach wie vor als Nomade zwischen Wissenschaft und Kunst pendeln, und seine Worte werden vermutlich weiter so aus ihm heraussprudeln, dass die meisten Zuhörer ihm kaum folgen können. Weibel ist keiner, der irgendwo verharrt. Immer auf dem Sprung, immer offen für Neues.

1999 hatte er von Heinrich Klotz den Direktorenposten im neuartigen ZKM übernommen. Weibel hat das heutige Profil entwickelt und das in einer riesigen ehemaligen Waffenschmiede untergebrachte Medienkunstzentrum zur international beachteten Denkfabrik gemacht.

Peter Weibel stellte für die Politik eine Herausforderung dar

Das ZKM zählt heute mit seiner Sammlung von über 10 000 Kunstwerken vornehmlich der Medienkunst zu einem der angesagtesten Museen. Es hat aber auch Labore und Forschungsarchive, die viele Künstler anlocken. Etwa US-Choreograph William Forsythe, der dem ZKM gerade sein Archiv geschenkt hat.

Er steht für Innovation und Mut.
Petra Olschowski, Kunstministerin von Baden-Württemberg

Von einem hochproduktiven und innovativen Macher, einem „Ideen-Provokateur“ und Rebell mit kritischer Distanz zur Macht und zu Mächtigen spricht die Kunsthistorikerin und Kuratorin Kirsten Claudia Voigt.

Für Baden-Württembergs Kunstministerin Petra Olschowski (Grüne) ist Weibel eine prägende Figur der künstlerischen und intellektuellen Gegenwart. „Er steht für Innovation und Mut. Mit seinen Ausstellungen im ZKM hat er uns nahe gebracht, wie sich unsere Wahrnehmung der Welt durch die digitale und mediale Transformation wandelt.“

Für die Politik waren seine avancierte Ansätze und seine Kompromisslosigkeit durchaus herausfordernd. Schließlich war Weibel in Gedanken dem Heute oft voraus, wie die Ministerin es ausdrückt.

Aus Protest ließ er seine Zunge einmauern

Immer in Bewegung war auch sein Werdegang: 1944 im ukrainischen Odessa geboren und in Heimen und Internaten aufgewachsen, studierte Weibel in Paris und Wien Medizin, Mathematik, Philosophie, Literatur und Film.

Seine frühe Auseinandersetzung mit der Medienkunst verschaffte ihm Lehraufträge in Wien, Kanada, Kassel und New York. Mit seinem Namen verbunden ist die „Ars Electronica“ in Linz, in den 1980er Jahren das wichtigste frühe Forum für Medienkunst. Nach dem Aufbau des Instituts für Neue Medien an der Frankfurter Städelschule kam er ans ZKM.

Weibel arbeitete als Aktions-, Video-, Sound- und Fotokünstler, aber auch als Theoretiker und Wissenschaftler. Er ist einer, der mit Sprache, Bildern und Medien experimentiert – und gerne provoziert.

Bevor Weibel zu seiner Lebensgefährtin Susanne Widl nach Wien zieht, wartet noch etwas Arbeit auf ihn
Bevor Weibel zu seiner Lebensgefährtin Susanne Widl nach Wien zieht, wartet noch etwas Arbeit auf ihn Foto: Uli Deck/dpa

So führte ihn seine frühere Partnerin, Künstlerin und Skandal-Feministin Valie Export 1968 an der Hundeleine auf allen Vieren durch Wiens Straßen. Und aus Protest gegen ein Urteil wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses ließ er sich 1973 für mehrere Stunden seine Zunge in Beton einmauern. Beim Herausmeißeln blieb etwas hängen; seitdem fehlt ein Stückchen Zunge.

Was ihn nicht daran hindert, klare Ansagen zu machen. Etwa, wenn es um Solidarität mit Theatermitarbeitern als „Opfer einer Machtpolitik beim Badischen Staatstheater“ geht oder darum, gegen „keramische Kirchenkunst“ von Künstlerkollege Markus Lüpertz in Karlsruhes neuer U-Bahn zu wettern. Kritik erntete er für einen offenen Brief mit Feministin Alice Schwarzer gegen Waffenlieferungen an die Ukraine.

ZKM-Chef Weibel schwärmt von seiner Zeit in Karlsruhe

Trotz „gelegentlicher Auseinandersetzungen mit der Politik“ behält Weibel seine Zeit in Karlsruhe in wunderbarer Erinnerung: „Das ZKM war ein Raumschiff mit unglaublicher Flughöhe.“ In Wien will er weiter in virtuellen Welten schweben und eine Geschichte der Digitalisierung verfassen – umgeben von seinen 120.000 Büchern, für die er zwei Containertürme bauen will.

Bevor Weibel zu seiner Lebensgefährtin Susanne Widl nach Wien zieht, wartet noch etwas Arbeit auf ihn: Er muss für seinen Nachfolger, den britischen Kurator und Museumsleiter Alistair Hudson, den Schreibtisch aufräumen und sein letztes ZKM-Projekt über die Bühne bringen: „Renaissance 3.0“ befasst sich mit neuen Allianzen von Kunst und Wissenschaft im 21. Jahrhundert.

Beim Symposium am 25. und 26. März sind unter anderem Quantenphysiker und Biochemiker zu Gast sowie drei Nobelpreisträger, darunter Christiane Nüsslein-Vollhard.

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