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Über den Wolken der Kurstadt

Baden-Badener Flieger erfüllen behinderten und trauernden Kindern Herzenswünsche

Die Welt einmal von oben sehen und alle Sorgen vergessen: Beim Schnupperflugtag in Baden-Baden können Kinder mit Behinderung oder Verlusterfahrung genau das erleben.

drei Menschen sitzen in einem kleinen Propellerflugzeug
Voller Vorfreude auf seinen Flug mit einer Propellermaschine sitzt Martin Te Winkel neben dem Piloten. Hinter ihm Melanie Hartmann von der Lebenshilfe Baden-Baden. Foto: Swantje Huse

Martin Te Winkel strahlt. „Ich darf sogar vorne sitzen“, ruft er begeistert, während er in das Cockpit der kleinen Propellermaschine steigt und sofort beginnt, dem Piloten Löcher in den Bauch zu fragen. Dass ihm dabei auch noch die Zeitung über die Schulter schaut, freut den jungen Mann, der eine geistige Entwicklungsstörung hat, noch mehr. Er jauchzt: „Jetzt werde ich berühmt.“

Neun Segelflieger und Motorflugzeuge sind pausenlos im Einsatz

Es ist genau diese Freude, die der Aero-Club Baden-Baden und die Fliegergruppe Gaggenau im Blick hatten, als sie 2016 die Aktion Schnupperfliegen ins Leben riefen. „Wir wollten Kindern mit Behinderung oder Trauererfahrung ein Erlebnis bieten, bei dem sie sich einfach vom Alltag in die Luft erheben können“, erklärt Axel Schulze vom Aero-Club.

Wegen Corona, Schlechtwetter und Organisationsproblemen ruhte die Aktion fünf Jahre lang. „Und ohne die finanzielle Unterstützung der Scherer-Stiftung könnten wir das gar nicht stemmen.“ Die Preissteigerungen machen auch den Fliegern zu schaffen.

Am Samstag stiegen nun endlich wieder vier Segelflieger und fünf Motorflugzeuge in die Lüfte und nahmen mehr als 50 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die von der Lebenshilfe oder der Hospizgruppe Baden-Baden betreut werden, auf einen rund viertelstündigen Ausflug über die Wolken.

Mama, ich bin der Einzige, der keinen Papa hat.
Sebastian Hartmann
Mitglied der Trauergruppe

Mit dabei ist auch der elfjährige Sebastian Hartmann aus Gaggenau. Als er drei Jahre alt war, hat er seinen Vater verloren. „Erst war er noch so jung, dann kam Corona, da gab es keine Angebote“, erinnert sich Mama Tanja an den Trauerprozess. Dann sei der Tag gekommen, an dem Sebastian heimkam und sagte: „Mama, ich bin der Einzige, der keinen Papa hat.“ „Da haben wir dann die Trauergruppe gesucht.“

eine Familie steht vor einem Segelflugzeug
Für Sebastian, Maximilian und Tanja Hartmann war der Flugtag der Abschluss ihrer Trauerphase. Foto: Swantje Huse

Zwei Jahre hat Sebastian sie besucht und andere Kinder kennengelernt, die so wie er einen nahen Angehörigen verloren haben. „Und kürzlich hat er gesagt: ,Jetzt will ich nur noch einmal hin, dann schaffe ich das alleine“, freut sich Tanja Hartmann. Der Schnupperflugtag, bei dem auch der kleine Bruder Maximilian dabei ist, der noch ein Baby war, als sein Vater starb, ist so etwas wie der krönende Abschluss für die Familie.

Solche Momente freuen auch Sabine Kohmann. Sie begleitet die Familien der Trauergruppe des Hospizvereins. „Es ist so viel Mut erforderlich, sich dem allen zu stellen. Man muss so viel wagen, um aus der Tiefe hochzukommen“, weiß sie. Der Flug in den Himmel hat für sie deshalb auch eine metaphorische Ebene: „Die Kinder haben oft den Boden unter den Füßen verloren und müssen wieder zurückfinden. So wie man beim Fliegen abhebt und wieder landet.“

zwei junge Männer vor einem Segelflugzeug
Olaf Leissler und Martin Te Winkel hatten beim Segelfliegen jede Menge Spaß. Foto: Swantje Huse

Sonja Leissler aus Varnhalt ist mit ihren Kindern Olaf und Anna gekommen. Olaf hat Trisomie 21, Anna nicht. „Für sie ist es auch schwer.“ Darum freut sich Leissler immer wieder über den Schnupperflugtag, der sich sowohl an die behinderten Kindern als auch deren Angehörige richtet. Inklusion sei in vielen Vereinen nach wie vor ein schwieriges Thema.

Das ist ein Angebot, das die meisten sonst niemals nutzen könnten.
Melanie Hartmann
Lebenshilfe Baden-Baden

Das bestätigt auch Melanie Hartmann von der Lebenshilfe. „Das ist ein echtes Highlight für alle“, sagt sie. „Das ist ein Angebot, das die meisten sonst niemals nutzen könnten.“ Und auch für die Angehörigen sei ein solcher Tag eine Entlastung, für die sie oft sehr dankbar seien. Die fröhlichen Gesichter um sie herum bestätigen das.

Ein Erlebnis auch für die Piloten

Während Anna in den nächsten Segelflieger steigt, kommt ihr Bruder Olaf gerade von seinem Flug zurück. Das Glück steht ihm ins Gesicht geschrieben. War es toll? „Ja“, ruft Olaf. Und noch mal: „Ja!“

Alexander Gilles von der Fliegergruppe Gaggenau ist einer der Segelfliegerpiloten. Als Zivildienstleistender beim Roten Kreuz habe er bereits Einblicke in die Behindertenarbeit bekommen. Als seine Frau dann vor fünf Jahren an einem Hirntumor erkrankte, habe das sein Leben völlig umgekrempelt.

ein Mann stützt den Flügel eines Segelfliegers, im Hintergrund ist ein zweites Segelflugzeug zu erkennen
Für Pilot Alexander Gilles ist die Teilnahme am Flugtag einfach „Ehrensache“. Foto: Swantje Huse

„Man weiß plötzlich, wie sehr die Behinderung den Alltag beherrscht.“ Deshalb sei es für ihn „Ehrensache“ anderen dabei zu helfen, aus diesem Alltag „einfach mal rauszukommen“. „Der Termin für den Schnupperflugtag steht immer rot im Kalender.“

An dem roten Motorflugzeug, in dem Martin Te Winkel sitzt, dreht sich inzwischen der Propeller. Der Pilot gibt die letzten Instruktionen. „Wer Fahrrad fahren kann, kann eigentlich auch fliegen“, sagt er lachend. „Zumindest beinahe.“ Martin zückt sein Handy. Bei seinem Segelflug am Morgen durfte er nicht filmen. Zu steil ist der Aufstieg am Seil der Winde. Das Handy könnte fallen und jemanden verletzen. Jetzt will der den großen Moment unbedingt festhalten. „Das habe ich mir so gewünscht.“

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