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Scharfe Kritik an der Politik

„Sicherheit gibt es nicht“: Pflegebündnis Mittelbaden kritisiert Corona-Teststrategie in Pflegeheimen

Flächendeckende Schnelltests sollen die Bewohner von Pflegeheimen vor dem Coronavirus schützen – eigentlich. Denn die Umsetzung des Testkonzepts ist laut dem Pflegebündnis Mittelbaden überhaupt nicht möglich.

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Flächendeckende Schnelltests sollen die Bewohner von Pflegeheimen vor dem Coronavirus schützen. Laut dem Pflegebündnis Mittelbaden fehlt dafür allerdings das Personal. Foto: Britta Pedersen

Die Bewohner vieler Pflegeheime werden offenbar nicht ausreichend vor dem Coronavirus geschützt. Nach Angaben des Pflegebündnis Mittelbaden kann die geplante Schnelltest-Strategie in den Einrichtungen nicht umgesetzt werden. Der Vorsitzende kritisiert die Politik scharf.

Die Bundesregierung will alle Besucher, Bewohner und Mitarbeiter in Pflegeheimen mit einem Schnelltest auf Corona testen lassen. Dadurch sollen vor allem die Senioren vor dem Virus geschützt werden. Indes: Die Realität sieht anders aus.

Kritik an der Politik

„Die flächendeckende Schnelltest-Strategie kann in der geplanten und kommunizierten Form nicht funktionieren“, kritisiert Peter Koch in einer Pressemitteilung.

Der Vorsitzende des Pflegebündnisses Mittelbaden mit Sitz in Gaggenau wählt klare Worte: „Mal wieder werden seitens der Politik gut klingende Konzepte kommuniziert, die die Menschen beruhigen sollen. Doch die Sicherheit, die hier vorgegaukelt wird, gibt es in der Praxis schlicht nicht.“

Die Sicherheit, die vorgegaukelt wird, gibt es nicht.
Peter Koch, Vorsitzender des Pflegebündnis Mittelbaden

Eine flächendeckende Testung sei aktuell überhaupt nicht möglich. Bei Corona-Ausbrüchen in Pflegeheimen gerieten aber nicht die Politiker in die Kritik, „die an ihren Schreibtischen realitätsferne Konzepte ausarbeiten und an Rednerpulten mit Verlautbarungen und Versprechungen glänzen“.

Stattdessen stünden die Heimbetreiber im Verdacht, das Leben ihrer Bewohner nicht ausreichend zu schützen. „Dann haben wir die Staatsanwaltschaft im Haus“, so Koch. „Diese Zusammenhänge sind für uns unerträglich.“

Zwar begrüßt das Pflegebündnis, dass die Heime – im Gegensatz zum Frühjahr – offen bleiben sollen. Man müsse nun aber „das moralische Dilemma zwischen Schutz der uns anvertrauten Menschen und dem Erfüllen des Kontaktbedürfnisses schultern“.

Für Corona-Tests fehlt das Personal

Laut Koch fehlt in den Pflegeheimen das Personal für die Schnelltests. Schon vor Corona habe die personelle Unterbesetzung der Einrichtungen im Bundesschnitt bei 36 Prozent gelegen.

Die Schnelltests wären eine zusätzliche Belastung: Im Mustertestkonzept des Landes Baden-Württemberg würden dafür bei einem Heim mit 100 Bewohnern 660 Stunden im Monat veranschlagt – das entspreche ungefähr vier Pflegern.

Wir können unser Personal nicht noch mehr verheizen.
Peter Koch, Vorsitzender des Pflegebündnis Mittelbaden

„Für die Testung braucht es medizinisches Fachpersonal, das wir weder herbeizaubern noch bezahlen können“, kritisiert Koch. Man habe in der Corona-Krise bereits „alle personellen Ressourcen mobilisiert, um die Betriebe überhaupt noch am Laufen zu halten“.

Deshalb müssten die vorhandenen Mitarbeiter die Tests „irgendwie mitschultern“, so Koch – was nicht möglich sei: „Das Personal arbeitet ohnehin schon am Limit. Wir können es nicht noch mehr verheizen.“

Auch die Forderung von Gesundheitsminister Jens Spahn, dass notfalls auch infizierte Ärzte und Pfleger arbeiten müssen, weist Koch strikt zurück. „Uns liegt auch die Gesundheit unserer Mitarbeiter am Herzen“, betont er. „Außerdem ist das Infektionsrisiko in einem solchen Fall dramatisch hoch.“

Corona-Schnelltests sind zu teuer

Hinzu kommt: Die Schnelltests sind fehleranfälliger als die Laboranalyse – und freiwillig. „Wir dürfen niemanden zum Test zwingen“, so Koch. „Somit erreichen wir nicht alle Menschen, die bei uns wohnen oder ein- und ausgehen.“

Nach seiner Einschätzung waren die flächendeckenden Tests von Beginn an nicht realisierbar. „Alle Einrichtungen müssen ein Testkonzept erstellen und es durch die zuständige Gesundheitsbehörde genehmigen lassen“, berichtet Koch.

Viele Pflegeheime haben bis heute keine Tests im Haus.
Peter Koch, Vorsitzender des Pflegebündnis Mittelbaden

Allerdings seien die Rahmenbedingungen für das Genehmigungsverfahren in Baden-Württemberg erst Anfang November geklärt worden. Die Politik verordnete dennoch eine Umsetzung bis zum 15. Oktober. „Wie hätte das möglich sein sollen?“, fragt Koch.

Außerdem müssten die Einrichtungen die Tests selbst besorgen. Die Kostenerstattung habe die Bundesregierung auf sieben Euro gedeckelt. „In den ersten Novemberwochen waren Tests zu diesem Preis schlicht nicht zu bekommen“, so Koch. „Deshalb haben viele Pflegeheime bis heute keine Tests im Haus.“

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