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Poolärzte-Urteil

Pforzheimer Mediziner befürchten überfüllte Notaufnahmen

Das Poolärzte-Urteil des Bundessozialgerichts kommt für Pforzheimer Ärzte und Kliniken als Schock. Sie befürchten drastische Auswirkungen auf den Betrieb der Notaufnahmen.

Ein Wegweiser zur Notfallpraxis am Pforzheimer Siloah St. Trudpert
An der Notfallpraxis am Pforzheimer Siloah St. Trudpert Klinikum sind die Zeiten des ärztlichen Bereitschaftsdienst bereits reduziert worden. Grund dafür ist das Urteil des Bundessozialgerichts. Foto: Herbert Ehmann

Kliniken und Ärzte in Pforzheim und Region schlagen nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) von Dienstag Alarm: Die Folgen werden massiv sein, glaubt Alexander Tsongas, Sprecher der RKH-Kliniken, zu denen auch Mühlacker und Neuenbürg gehören.

Er befürchtet überfüllte Wartebereichen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser.

Schon jetzt kommen verstärkt Patienten in die Notaufnahme

Neben akuten Notfallpatienten, die der Rettungswagen bringt, werden Kliniken sehr viel mehr als schon aktuell mit „leichten Notfällen“ zu tun haben, die eigentlich gar nicht ihr Klientel sind.

Als Beispiel nennt Tsongas Menschen, die sich mit ihrem hartnäckigen Katarrh bisher an den ärztlichen Bereitschaftsdienst wandten, in Zeiten, wenn die Hausarztpraxis geschlossen war.

„Die Entscheidung betrifft zwar primär die niedergelassenen Ärzte. Aber wenn diese den Bereitschaftsdienst einschränken, hat das Auswirkungen auf die Kliniken“, sagt Tsongas.

Pforzheimer Verein Notfallpraxis organisiert Bereitschaftsdienst

Dass der Bereitschaftsdienst „vorübergehend“ eingeschränkt werden müsse, hat die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) mit dem Gerichtsurteil begründet. Es besagt, dass Pool-Ärzte, die freiwillig Dienste im Bereitschaftsdienst übernommen haben, von nun an der Sozialversicherungspflicht unterliegen.

Die Kollegen sind völlig verunsichert.
Peter Engeser
Pforzheimer Allgemeinmediziner

In Pforzheim organisiert der Verein Notfallpraxis der hiesigen Ärzteschaft seit 25 Jahren den Bereitschaftsdienst. Vorsitzender ist Peter Engeser. Der Allgemeinmediziner nennt das Urteil eine Katastrophe.

Seit Dienstag stünden bei ihm die Telefone nicht mehr still. „Die Kollegen sind völlig verunsichert“, berichtet er. Die Liste der Pforzheimer Poolärzte umfasst 40 bis 50 Kollegen. Unter ihnen viele junge Klinikärzte, die sich etwas dazu verdienen wollten, Teilzeitärzte und solche, die ihre Rente mit den Bereitschaftsdiensten aufgebessert haben.

„Die Kollegen haben bisher über die Kassenärztliche Vereinigung abgerechnet, das war eine saubere Lösung. Jetzt geht das nicht mehr“, erklärt Engeser.

Poolärzte decken 40 Prozent der Versorgung in Notfallpraxen ab

Im Ländle deckten bisher rund 3.000 Poolärzte zu 40 Prozent die Versorgung der Notfallpraxen ab. Die KVBW erklärte am Mittwoch in einer Pressemitteilung, sie sehe sich gezwungen, sofortige Maßnahmen zu ergreifen. Sie hat die Verträge der Poolärzte gekündigt und einen Notfallplan erstellt mit teils drastisch reduzierten Bereitschaftsdienstzeiten der Notfallpraxen.

Nach dem Gesetz muss jeder niedergelassene Arzt Bereitschaftsdienst machen; auf sie dürfte mehr Arbeit zukommen, da die freiwillig mitarbeitenden Poolärzte nun draußen sind.

„Ich hatte schon immer meine Bedenken, wenn ein HNO-Arzt oder ein Psychiater im Notdienst einen Herzpatienten behandeln muss“, sagt Engeser mit Blick auf mögliche fachliche Überforderung. Und nicht jeder Patient im Notdienst wolle sich von einem Facharzt behandeln lassen.

Am Siloah sind die Bereitschaftsdienstzeiten bereits reduziert

Für die Notfallpraxis an der Pforzheimer Klinik Siloah St. Trudpert hat der KVBW aufgrund der Gesetzesänderung die reduzierten Zeiten bereits auf seiner Website eingestellt. Demnach ist der Bereitschaftsdienst täglich um mehrere Stunden verkürzt, die Notfallpraxis nun an jedem Abend nur noch bis 22 Uhr geöffnet.

„Wir gehen davon aus, dass Patienten die Zentrale Notaufnahme verstärkt aufsuchen werden, wenn die Notfallpraxen nicht besetzt sind und rechnen mit einem erhöhten Patientenaufkommen“, erklärt Ljerka Pap, Sprecherin vom Siloah. „Patienten werden mit entsprechend längeren Wartezeiten für nicht lebensbedrohliche Fälle rechnen müssen.“

Der kinderärztliche Notdienst am Helios-Klinikum ist nicht betroffen. Dort ist mittwochs (15 bis 20 Uhr), freitags (16 bis 20 Uhr) und am Wochenende (8 bis 20 Uhr) geöffnet.

Auch am Helios-Klinikum selbst wird nun mit einem höheren Patientenaufkommen in der Zentralen Notaufnahme gerechnet.„Wir sind weiterhin rund um die Uhr für unsere Patienten da“, sagt Sprecherin Christina Schwara.

Es wird zu längeren, teils mehrstündigen Wartezeiten kommen.
Alexander Tsongas
Sprecher der RKH-Kliniken

In Mühlacker arbeiten Klinikärzte und niedergelasse Ärzte aus dem Enzkreis dank des integrierten Notfallzentrums im Krankenhaus Tür an Tür zusammen. „Wir werden die Notfallversorgung im ambulanten Bereich gemeinsam sicherstellen“, erklärt RKH-Kliniken-Sprecher Tsongas. Allerdings hat sich die Lage auch hier dramatisch verschärft: Die Notfallpraxis im Klinikum Mühlacker bleibt unter der Woche von nun an komplett geschlossen. Und an Samstagen sowie Sonn- und Feiertagen sind die Bereitschaftsdienstzeiten drastisch reduziert. Statt wie bisher von 7 Uhr bis 7 Uhr des Folgetags ist die Notfallpraxis nur von jeweils 10 bis 16 Uhr geöffnet. In Neuenbürg hat sich nichts geändert, dort gab es die Bereitschaft ohnehin nur am Wochenende, ebenfalls von 10 bis 16 Uhr.

Damit dürfte sich der Druck auf das Pforzheimer Siloah beziehungsweise andere Kliniken in der Region zusätzlich erhöhen.

„Wir hatten gehofft, dass das Gericht ein anderes Urteil fällt. Es hat uns wie ein Schlag getroffen“, sagt Tsongas. Die „harte“ Reaktion seitens der KV sei ebenfalls ohne Vorankündigung gekommen.

Die Verantwortlichen der Kliniken appellieren an die Menschen, bei leichteren Notfällen zum Hausarzt und außerhalb der Praxiszeiten auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst mit der Telefonnummer 116 117 zuzugehen. „Wir haben auch die Pflicht, primär die von den Rettungsdiensten gebrachten schweren Notfälle zu versorgen“, wird Jörg Martin, Geschäftsführer der RKH Gesundheit, in einer Mitteilung der Kliniken zitiert.

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