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BNN-Leseraufruf

Babygeschrei und „Homeschooling-Wahnsinn“? Schildern Sie uns Ihre Erlebnisse

Dass Schulen und Kitas in Baden-Württemberg mindestens bis Ende Januar geschlossen bleiben, hat Konsequenzen für Millionen von Familien. Die BNN blicken in den Alltag zweier sehr unterschiedlicher Haushalte.

Mother working from home with kids. Quarantine and closed school during coronavirus outbreak. Children make noise and disturb woman at work. Homeschooling and freelance job. Boy and girl playing.
Alltägliche Nervenzerreißprobe: Wer Kinder verschiedener Altersklassen hat, gerät in Zeiten der geschlossenen Kitas und Schulen schnell mal an seine Grenzen. Symbolfoto: Foto: stock.adobe.com

Wie geht es Familien im Lockdown? Treiben Homeschooling und Kita-Schließungen sie wirklich in eine Stress-Spirale, gar an den Rande des Wahnsinns? Darauf gibt es ähnlich viele Antworten wie Familien. Die BNN haben Momentaufnahmen bei zwei Familien gesammelt, deren Situation unterschiedlicher kaum sein könnte:

8.00 Uhr: Ein Eigenheim am grünen Rand von Karlsruhe. Ohrenbetäubendes Babygeschrei schrillt durch das Haus. Nesthäkchen Mia (Namen aller Kinder und Eltern geändert) hat unüberhörbar Hunger. Der achtjährige Leon kramt seine Rechenmappe zusammen, flüchtet in Papas Arbeitszimmer unterm Dach, um dort in Ruhe seine Aufgaben zu machen. Emma (4) hüpft in die Küche – im rosa Ballettröckchen. „Ich will tanzen!“, ruft sie unternehmungslustig. Mutter Antje bewundert pflichtbewusst das Tanzkostüm, während sie die Jüngste füttert. Eine Minute später wummert im Kinderzimmer nebenan laute Musik.

Gleiche Zeit, sechs Kilometer Luftlinie entfernt: Durch die Jugendzimmertür von Lena (16) dringt die sonore Stimme des Chemielehrers: „Lasst uns noch einmal die Säure-Base-Reaktionen anschauen.“ Danach sind mehrere Teenager zu hören, reihum sagen sie Formeln auf, von „Protolyse“ und „Chlorwasserstoff“ ist im Video-Unterricht die Rede. Klingt nach konzentrierter Arbeitsatmosphäre.

10.20 Uhr: In der Drei-Kind-Familie ist die Tanzstunde vorüber. „Emmi“, wie sich das Kindergartenkind selbst nennt, trägt kein Tutu mehr, düst jetzt aber als sprechendes Flugzeug durch die Wohnung. Das Hörspiel „Super Wings“ läuft eher im Vorder- als im Hintergrund. „Jetzt geht’s los, ohoho“, schmettert eine Pop-Stimme. „Jett, du bist bereit, liebst Geschwindigkeit!“ Das ist das Stichwort. „Emmi, Geschwindigkeit“, ruft die Vierjährige – und nutzt den Krabbelteppich der knapp einjährigen Mia als Startrampe. Sie „fliegt“ laut zischend vorbei am Familientisch, an dem Mama nun doch Leon bei einer Rechenübung helfen muss.

Ortswechsel: Ins elterliche Homeoffice rauscht Lena, das iPad auf der Hand balancierend. „Ich muss mal ein paar Arbeitsblätter ausdrucken“, sagt sie. Aus dem Tablet-Computer ertönt die Ansage einer neuen Lehrerstimme: „Bitte erledigt die Aufgaben gleich jetzt in der Bearbeitungsphase und schickt mir die Lösungen. Ich möchte nicht, dass ihr das aufschiebt.“ Lenas Vater horcht auf, grinst, reckt den Daumen nach oben. „Den Lehrer finde ich schon mal gut!“ Der Teenager kontert mit einer Grimasse, zieht aber friedlich in Richtung Schreibtisch ab, sobald der Drucker mehrere Blätter ausgespuckt hat. In Mathe scheint es zurzeit um Integralrechnungen zu gehen.

11.40 Uhr: Dreifach-Mama Antje schaut draußen im Briefkasten nach, ob neue Arbeitsblätter von Leons Grundschullehrerin per Post angekommen sind. „Wir haben Glück“, sagt sie. „Freunde von uns müssen die Übungsblätter alle paar Tage in der Schule abholen.“ Leon selbst hat gerade Videounterricht – einige Stunden pro Woche treffen auch die Drittklässler ihre Lehrerin online. Mia kreischt lautstark. Zurück im Haus, nimmt Antje sie auf den Arm, trägt sie mit in Emmas Zimmer. Das mittlere Kind ist nun eigentlich an der Reihe: Antje soll mit ihr das Lieblingspuzzle machen. Mia patscht mit ihren feuchten Händchen dazwischen.

Wie läuft es bei der Oberstufenschülerin? Auf Lenas Stundenplan steht Sport-Unterricht. Aber, nanu: Sie liegt gemütlich langgestreckt auf ihrem Bett, den Tablet-Computer auf dem Bauch. „Wir haben nur Theorie, du kannst also chillen “, erklärt sie der verblüfften Mutter, die kurz einen „Kontrollblick“ ins Zimmer wirft – und sich dann für das Chillen (auf Deutsch: Entspannen) und gegen Belehrungen über eine angemessene Arbeitshaltung entscheidet.

13.00 Uhr: Antje würzt den Kartoffelbrei nach, gleich gibt es Mittagessen. Während sie den Salzstreuer schwingt, verstreut Mia ein Päckchen Vanillezucker auf dem Boden. Wie sie da drangekommen ist? Nebulös.

Lena hat ebenfalls Mittagspause. Treffen der Generationen am Mittagstisch. Die Eltern tischen vorgekochte Pasta auf. Man plaudert über Dies und Das. Auch darüber, dass der Video-Unterricht – im Gegensatz zu anderen Schulen – stabil funktioniert. „Wir können wirklich nicht jammern“, sagt Mutter Katrin.

„Die Schule unserer Tochter macht Online-Unterricht nach Stundenplan. Die Lehrer sind wirklich gut organisiert. Manchmal staune ich, wie schnell die jedem einzelnen Schüler detaillierte Rückmeldungen auf Aufsätze oder Hausaufgaben geben. Oder wenn ich mir anschaue, zu welchen Uhrzeiten der Direktor selbst am Wochenende noch Rundmails schreibt, wenn das Kultusministerium wieder mal eine kurzfristige Entscheidung rausgehauen hat…“

Bei uns herrscht Lockdown-Homeschooling-Wahnsinn.
Antje, dreifache Mutter

Nein, von besonderem Stress in Pandemie-Zeiten könnten sie überhaupt nicht sprechen, schwören Lenas Eltern, deren erwachsener Sohn schon ausgezogen ist. Die Mutter schiebt aber sofort hinterher: „Mir ist bewusst, dass die Situation für Familien mit jüngeren Kindern eine völlig andere ist.“ Das würde Antje dick unterstreichen. „Bei uns herrscht Lockdown-Homeschooling-Wahnsinn“, seufzt sie und verdreht die Augen. „Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.“

Die dreifache Mutter will bald wieder arbeiten, halbtags. Ihre Elternzeit läuft aus. Doch Antje fragt sich, wie das funktionieren soll: „Solange die Kitas nur Notbetreuung anbieten, kann ich Mia nicht zur Eingewöhnung bringen.“ Einzige Lösung: Die (noch nicht geimpfte) Großmutter springt täglich für fünf Stunden ein. „Eigentlich möchte ich ihr das nicht zumuten – auch wegen der möglichen Ansteckungsgefahr“, sagt Antje. „Aber ich will auch meiner Firma auf keinen Fall das Gefühl geben, dass sie sich auf mich nicht verlassen kann. Das ist eine fürchterliche Zwickmühle.“

Leseraufruf

Wie erleben Sie, liebe Leser, aktuell den Alltag? Welchen Belastungen sind Sie als Eltern, als Erzieherin oder als Lehrkraft ausgesetzt? Was betrachten Sie als unnötiges Ärgernis? Und was klappt trotz Krise erstaunlich gut? Schreiben Sie uns an: redaktion.leserbriefe@bnn.de.

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