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Bis 2014 in Karlsruhe gelebt

Der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Mahrenholz wird in Hannover beerdigt

Er war umfassend gebildet und blieb bis zuletzt ein kritischer Kopf: Der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Gottfried Mahrenholz, der bis 2014 in Karlsruhe lebte, starb vor wenigen Tagen. An diesem Samstag wird er in seiner Heimatstadt Hannover beigesetzt.

Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Gottfried Mahrenholz, gestikuliert auf einer Pressekonferenz. Nach Angaben einer Sprecherin der SPD Niedersachsen vom Montag starb der Jurist am 28.01.2021 in Hannover. (zu dpa: «Früherer Bundesverfassungsrichter Mahrenholz gestorben») +++ dpa-Bildfunk +++
Kritischer Geist mit unabhängiger Meinung: Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Gottfried Mahrenholz, wird an diesem Samstag beigesetzt. Foto: Norbert Försterling picture alliance/dpa

Zeitlebens war er ein unabhängiger, freier und vielseitig interessierter Kopf – und er blieb es bis zuletzt. Geradlinig und unbestechlich, kritisch, aber auch selbstkritisch, wie ihn Freunde und langjährige Begleiter im Gespräch mit unserer Redaktion beschreiben, ein Mann mit Charme und Nonchalance sowie festen Überzeugungen, die er leidenschaftlich vertrat.

Die Politik und das Recht, das waren die großen Themen von Ernst Gottfried Mahrenholz, aber nicht nur. Auch die Musik und die Kirchen lagen dem früheren Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts sehr am Herzen.

Die Entwicklung der SPD, in die er bereits als 21-Jähriger eingetreten war, schmerzte ihn sehr. Und auch den Kurs der protestantischen Kirche, der er als Sohn eines Pastors und Kirchenmusikers ein Leben lang verbunden war, verfolgte er mit Argusaugen.

An diesem Samstag wird Mahrenholz, der viele Jahre in Karlsruhe als Verfassungsrichter wie als Anwalt tätig war und vor wenigen Tagen in seinem Haus im hannoverschen Heideviertel im Alter von 91 Jahren starb, im engsten Kreis beigesetzt.

Studium der Theologie, Psychologie, Philosophie und der Rechtswissenschaften

Schon die Wahl seiner Studienfächer ist Ausdruck dafür, wie umfassend gebildet und vielseitig interessiert der gebürtige Göttinger war.

Dem Studium der Theologie, Psychologie und Philosophie an der Universität Göttingen folgte ein Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen und Göttingen.

1957 promovierte er in seiner Heimatstadt mit einer Arbeit zur „Wahlgleichheit im parlamentarischen Parteienstaat der Bundesrepublik“ – ein Thema, das ihn sein Leben lang begleitete.

Noch im Ruhestand plädierte er lautstark für eine Abschaffung der Überhangmandate und forderte im Jahr 2009 eine Reform des Wahlrechts, da die Gefahr bestehe, dass durch die Überhangmandate das Wahlergebnis „auf den Kopf gestellt wird“.

Diese kam zwar, doch anders, als der Staatsrechtler gefordert hatte. Statt die Überhangmandate abzuschaffen, forderten die Hüter der Verfassung eine Kompensation durch Ausgleichsmandate.

Von der EKG in die Staatskanzlei

Auch beruflich stellte Mahrenholz seine Vielseitigkeit unter Beweis. Er begann 1959 als Referent am Kirchenrechtlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), wurde ein Jahr später persönlicher Referent des niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf (SPD).

Er leitete das Bauverwaltungsamt Hannover, war Mitglied des NDR-Rundfunkrates und stand von 1965 bis 1970 an der Spitze des NDR-Funkhauses Hannover.

Danach ging es zurück in die Politik. Bis 1974 war er als Staatssekretär Chef der Niedersächsischen Staatskanzlei, danach zwei Jahre Kultusminister des Landes Niedersachsen. Nach dem Regierungswechsel 1976 gehörte er der SPD-Opposition im Landtag von Hannover an.

Mehrfach stand er quer zum eigenen Senat

Bundesweit bekannt wurde Mahrenholz nach seiner Wahl zum Richter am Bundesverfassungsgericht im Jahr 1981. Als Vorsitzender Richter des Zweiten Senats und Vizepräsident (ab 1987) prägte er maßgeblich die Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts.

Seinem Ruf als kritischer Kopf machte er alle Ehre, mehrfach stand er mit „abweichenden Meinungen“ quer zur konservativen Mehrheit seines eigenen Senats.

Das hinderte ihn nicht, mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft auf eine Liberalisierung der Rechtsprechung zu drängen und den Schutzinteressen von Minderheiten mehr Beachtung zu schenken.

Die Würde des Menschen stand im Mittelpunkt

Rechtsgeschichte schrieb sein Senat mit dem Urteil zur Reform des Abtreibungsrechts sowie mit der Entscheidung zur Begrenzung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Die Würde des Menschen stand für ihn in allen Entscheidungen im Mittelpunkt.

So sprach er einem Nazi-Täter, der zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, das Recht auf Hafturlaub zu, damit dieser nach 24 Jahren im Gefängnis seine Familie besuchen konnte.

Weitere wichtige Urteile betrafen unter anderem das Recht auf Wehrdienstverweigerung, die Kontrolle der Nachrichtendienste durch den Bundestag, die Stellung der fraktionslosen Abgeordneten im Bundestag oder den EU-Vertrag von Maastricht.

Aufmerksamer Beobachter mit eigener Meinung

Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Verfassungsgericht blieb Mahrenholz, der bis 2014 in einer Karlsruher Kanzlei als Anwalt arbeitete und in Wolfartsweier wohnte, ein ebenso aufmerksamer wie kritischer und unabhängiger Beobachter, der sich nicht scheute, kritisch Stellung zu beziehen, auch wenn er damit quer zu seiner Partei oder zur Mehrheitsmeinung stand.

So lehnte er ein Verbot der rechtsextremistischen NPD ab und sprach sich für das Tragen des Kopftuchs aus, da dies die Integration erleichtere.

Professor Mahrenholz war ein aufrechter, ein kluger und nachdenklicher Mensch
Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) würdigte die große Menschlichkeit und das vielfältige gesellschaftspolitische Engagement von Mahrenholz.

„Professor Mahrenholz war ein aufrechter, ein kluger und nachdenklicher Mensch mit hohem moralischem Anspruch, der in seinem langen Leben viel bewirkt hat.“

Gäbe es mehr von seiner Sorte, „wäre das gut für unser freiheitliches und solidarisches Miteinander, für die Sicherung unserer Grundrechte und für unseren demokratischen Staat“.

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